Mit Charme und Brio. Letzte Vorstellungen eines Erfolgsballetts: Goyo Monteros umwerfende Adaption der französischen Tragikomödie „Cyrano de Bergerac“ für das Ballett des Staatstheaters Nürnberg verabschiedet sich nach mehrmaligen Wiederaufnahmen mit verschiedenen Besetzungen Ende März 2017 aus dem Repertoire. Aus diesem gegebenen Anlass ist ein Rückblick auf die Premiere der Spielzeit 2014/2015 angebracht.
Besser kann man ein Schauspiel, in dem sich alles um Worte, um Poesie und Rhetorik dreht, nicht in Bewegung fassen! Als Saúl Vega am 13. Dezember 2014 im Staatstheater Nürnberg in der Rolle des Cyrano nach fast eineinhalb pausenlosen Stunden verletzt und gealtert wie tot zu Boden sank, herrschte im Zuschauerraum atemlose Stille. Dabei war der Schlussvorhang zu Goyo Monteros Ballettwurf noch gar nicht gefallen: Ohne Bruch zu den vorangegangenen zweckdienlich-genial ausgewählten Musikstücken aus Jean-Philippe Rameaus breitem Opernwerk, setzte die Staatsphilharmonie Nürnberg unter einfühlsamer musikalischer Leitung von Gábor Káli zu Charles Ives wohl berühmtester Komposition „The unanswered question“ an.
Dazu führte Goyo Montero – Nürnbergs immer wieder aufs Neue erfinderischer Chefchoreograf und Spezialist für innere Beweggründe menschlicher Verhaltensweisen – seinen tanzathletisch wendigen Freidenker und Degenhelden mit entstellend langer Nase noch einmal mit seiner geliebten Roxane (wunderbare Interpretin des liebreizend-leichtgläubigen Männerschwarms: Marina Miguélez) und dem in der Schlacht gefallenen Freund Christian (mehr zur schnellen Umarmungen denn höfischer Minne neigender Beau: Max Zachrisson) zusammen. Fiebertraum? Todesvision? Alles zurück auf Anfang schraubende Apotheose?
Cyrano ist kein Einzelfall! Nur trägt er eben eine Nase, die ihm Last oder/und Quelle von Erkenntnis sein kann. Damit hebt er sich ab von der grau wogenden Masse, die Montero an den Anfang und ans Ende seines wunderbar mit barocker Theatralität gespickten Balletts stellte. Tollster Hingucker: die überdimensionale royale Stabpuppe. Erst als von oben herab Kostümbündel auf die Bühne purzelten, fanden die Tänzer nach und nach zu ihren Rollen aus Edmond Rostands Erfolgsstück, das 1897 in Paris uraufgeführt wurde. Den rechten Schubs ins Geschehen aber gab „Cyrano“ erst Gérard Depardieus aufgewühlte Stimme aus dem bekannten französischen Historienfilm von 1990. Markant, dieser Auftakt zu einem berührenden Tanzabend der Sinne, bei dem sich (fast) alles um die Liebe dreht. Dazu schuf der Kanadier Owen Belton eigens elektromusikalische Soundbrücken für die handlungsirritierenden Momente bzw. all jene Szenen, in denen innerseelische Vorgänge die Figuren lenken.
Ein komplexes Konzept aus schlichten, mobilen Bühnenelementen (Eva Adler, Goyo Montero), grafisch ergänzenden Bildanimationen (Oliver Schuck), historisierend atmosphärisch verdichtenden Kostümen (Angelo Alberto, Goyo Montero) und raffinierter Lichtregie (Olaf Lundt, Goyo Montero) trug außerdem maßgeblich zu vielen schönen Eindrücken der klar erzählten Geschichte bei. Selbst die vom Wind durchs zeitlupenhaft verzerrte Kampfgetümmel gewirbelten Schnipsel im finalen Kriegsbild möchte man nicht missen! Den Ausschlag hin zum Meisterwerk schaffte letztendlich Monteros exzellente Ballettkompanie. Selbst stillere Charaktere wie der in seinem Werben um Roxane von Cyrano ausgetrickste De Guiche (Carlos Lázaro), der schnieke Herausforderer Valvert (Oscar Alonso) oder Simon van Heddegem in der Doppelrolle als Amme und Priester füllten den ihnen zugewiesenen Raum mit unglaublich reichem Spiel.
All die bewegungstechnischen Finessen v.a. von Saúl Vegas Cyrano waren beim ersten Zuschauen gar nicht zu erfassen. Von betörend schlagkräftiger Einfachheit dagegen: Monteros Coup, den Gebrauch von Worten mit zur Kehle oder davon wegführenden Armgesten tänzerisch absolut verständlich zu gestalten. Handlungsballett at it’s best!
Die letzten Vorstellungen von „Cyrano“ finden am 25. und 31. März 2017 Staatstheater Nürnberg statt