Wien hat wieder einmal einen neuen Wettbewerb. Die von der Leiterin der Ballettakademie der Wiener Staatsoper Simona Noja und vom Direktor des Wiener Privatstudios Dance Arts Boris Nebyla ins Leben gerufene Variante, nennt sich, nicht unbescheiden, „European Ballet Grand Prix“. Bei der abschließenden Galavorstellung traten einige Preisträger sowie Gastsolisten der Compagnien aus Bratislava, Split, Brno, Cluj und vom Wiener Staatsballett auf.
Die Jury des „European Ballet Grand Prix“ war mit Direktoren von angesehenen Ballettschulen hochkarätig besetzt: Elisabeth Platel (Pariser Opernballettschule), Steffi Scherzer (Ballettakademie Zürich), Gregor Seyffert (Ballettschule Berlin), Gyorgy Szakaly (Budapester Ballettakademie), Qu Zijiao (Liaoning Ballet, China) sowie Evelyn Téri (Beraterin der Ballettakademie der Wiener Staatsoper) gehörten ihr an. An die 200 Schülerinnen und Schüler aus 32 Schulen (für Profis und Amateure) in 30 Ländern kamen nach Wien, um sich in den Kategorien Klassischer und Contemporary Tanz beurteilen zu lassen.
Die abschließende zweistündige „Charity Awards Gala“ (ohne Pause) war straff und stringent organisiert. Die Stücke-Auswahl der Preisträgerinnen und Preisträger bot hingegen das übliche Bild: die zum Abwinken abgehandelten Variationen, Soli und Pas de deux aus „Esmeralda“, „Le Corsaire“, „Santanella“, „La Bayadère“ und „Flames of Paris“. Wie üblich ging es ausschließlich um (sportliche) Technik: Wer kriegt das Bein höher, wer kann mehr Tours drehen, ohne umzufallen, wer springt am Weitesten. Das alles kann der Nachwuchs beeindruckend – sofern das Lampenfieber die Schüler bei allen Fertigkeiten, die sie haben mögen, nicht in eine Art Stockstarre versetzt. Ein künstlerischer Anspruch bleibt da auf der Strecke. So tanzte etwa auch die Gewinnerin der Kategorie „Mini“ (7 bis 9-jährige) dementsprechend brav die Kitri-Variation aus „Don Quijote“. Trotz Halbspitze kann da aber von altersgerechtem Repertoire wohl gar keine Rede sein.
Wie Profis mit diesen Variationen umgehen, zeigten im zweiten Teil der Gala Natascha Mair und Jakob Feyferlik (Wiener Staatsballett) im Esmeralda-Pas de deux. Freilich sieht man hier nicht mehr die technische Anstrengung, sondern einen spielerischen Flirt der beiden Tänzer miteinander und mit dem Publikum. Diese Rolleninterpretation kann man von Schülern nicht erwarten. Warum also stülpt man ihnen immer wieder diese alten Ballett-Klamotten über?
Dem gegenüber war der erste Preisträger der Kategorie „Teen“, Matei Hololeu mit dem athletischen Solo „Running“, das ihm wohl auf den Leib choreografiert worden war, rundum überzeugend. Wie Virtuosität in einer zeitgenössischen Choreografie weitergesponnen wird, das zeigte anschließend Francesco Costa in seiner Paraderolle „Le Bourgeois“. Die Beiträge der Gäste vom Slowakische Nationaltheater, vom Kroatischen Nationaltheater Split und von der Rumänischen Staatsoper Cluj zeigten neoklassische oder zeitgenössische Kurzstücke. Choreografisch war bei dieser Gala das Trio des Nationaltheaters Brünn mit Klaudia Radacovsky, Arthur Abram und Martin Svobodnik erwähnenswert. In seiner Schwanensee-Version zu Tschaikowskis Originalmusik stellt Choreograf Mario Radacovksky die rivalisierende, kämpferische Beziehung zwischen Siegfried und Rotbart in den Mittelpunkt. Odette scheint dabei ein doppeltes Spiel zu spielen (– soweit man das aus diesem Ausschnitt aus „Black Swan, White Swan“ schließen kann) und wird in komplexen Hebefiguren hin und hergereicht.
Der Gewinn derartiger Wettbewerbe sei nicht das Ergattern von Preisen, sondern vor allem der Austausch mit anderen Schülern und Lehrern, betonten die Initiatoren Noja und Nebyla in ihrem Einleitungsstatement. Das wirft aber die Frage auf, ob eine derart komptetitive Veranstaltung wirklich eine optimal Plattform für Begegnung ist. Seit den ersten Ballettwettbewerben in den 1960er Jahren hat sich ihre Struktur kaum verändert. Außerdem werden die Termine für die Nachwuchssuche längst von den traditionellen Competitions in Varna, Moskau, Jackson, Lausanne, New York, London oder Tokyo abgedeckt. Ein neuer Wettbewerb spielt da wohl höchstens in der zweiten Liga mit.
Wäre es da nicht klüger, die Energien in die Entwicklung neuer, kreativer Formate zu stecken? Sollten diese Zusammentreffen nicht die künstlerische Entfaltung der Kinder und Jugendlichen ermöglichen und Teamarbeit fördern statt sie gegeneinander tanzen zu lassen? Denn Ballett ist kein Sport und seine Bewegungen sollten nicht per se gemessen werden. Vielmehr sollten ihre Kombinationen ausdrucksvoll und, im besten Fall, magisch sein. In diesem Sinne wäre Innovation sicher auch beim Publikum herzlich willkommen.
„Charity Awards Gala“ am 10. Februar im MuTh. European Ballet Grand Prix, 7. bis 10. Februar 2017