Es sind besondere Theatererlebnisse, wenn es Interpreten gelingt, ein durchwegs bekanntes Werk neu erlebbar zu machen. So geschehen bei „La fille mal gardée“ mit Natascha Mair als Lise und Davide Dato als Colas. Eine Traumbesetzung für das heitere Ballett von Frederick Ashton. Wie groß derzeit das Reservoir an jungen Talenten beim Wiener Staatsballett ist, davon zeugte auch die zweite Vorstellung in dieser Woche mit Nina Tonoli und Jakob Feyferlik.
Idyllisches Landleben, die Liebe von Lise und Colas, die alternativen Heiratspläne von Lises Mutter Witwe Simone und die List, mit der das junge Paar seine Geschichte zu einem Happy End führt, sind die Hauptingredienzien von Ashtons wohl beliebtesten Ballett. Die Titelrollen eignen sich ideal für junge Solistinnen und Solsiten die nicht nur ihre tänzerische Fertigkeiten unter Beweis stellen, sondern auch ihre schauspielerische Kompetenz voll einsetzen können, ja müssen. Denn kleine tänzerische Ungenauigkeiten verzeiht man in diesem Stück gerne, solange das Timing stimmt und der choreografische Witz sitzt.
Natascha Mair und Davide Dato - ein ideales Paar
Nun, keine Spur von Ungenauigkeit jedenfalls bei Natascha Mair und Davide Dato. Sie sind in ihren Aktionen zu jeder Zeit bombensicher, und man hat den Eindruck hier hätten sich zwei Perfektionisten getroffen. Der erfahrenere Dato (engagiert seit 2009, seit 2016 Erster Solotänzer) harmonierte perfekt mit seiner jüngere Kollegin (seit 2012 im Ensemble, seit 2012 Solotänzerin) und stemmte die zarte Ballerina mühelos in schwindelnde Höhen. Hebefiguren gelangen dem Paar um ein paar Zehntelsekunden länger als gewohnt. Was aber besonders bestach, ist das Spiel der beiden. Sie flirteten, kokettierten, hofierten einander auf Teufel komm raus und rissen mit solch uneingeschränktem Charme das gesamte Ensemble mit. Da leuchteten die bunten Kostüme des Ensembles in den traditionellen, ländlichen Bänder- und Reigentänzen gleich noch einmal heller.
Während Dato die Figur des Colas (das Rollendebut gab er am 19. Jänner) in allen Facetten eines jugendlichen Liebhabers zum schillern brachte, begnügte sich Natascha Mair als Lise nicht nur mit der Rolle der frechen und trotzigen Tochter. Keine Frage, sie wendete alle Tricks an, um die Mutter von ihrem Vorhaben abzubringen, ihren Wohlstand mit dem des reichen Weinbauern Thomas durch Lises Heirat mit dessen vertrottelten Sohn Alain zu verbinden. An diesem Abend war in dieser Mutter-Tochter-Beziehung aber auch der Aspekt der Liebe zu spüren. In der Szene, in der sie zu den Tamburin-Schlägen ihrer Mutter tanzte, ließ Mair das Publikum sogar für einen Moment den schwelenden Konflikt zwischen den beiden vergessen. Da dominierte innige Familienbande. Roman Lazik spielte und tanzte seine Travestierolle als Witwe Simone eher zurückhaltend, und machte sie dadurch besonders glaubwürdig. Seit der Wiederaufnahme in der letzten Saison gestaltet Masayu Kimoto den Alain nicht, wie so oft, durch übertriebenes Mimenspiel, sondern verlässt sich bei den Gags ganz auf die komödiantische Choreografie – und überzeugt damit immer wieder. In dieser Besetzung wurde „La fille mal gardée“ zu einem Saison-Highlight des Wiener Staatsballetts.
Rollendebüt: Nina Tonoli mit Jakob Feyferlik
Nina Tonoli tanzte am 27. Jänner erstmals die listige Lise. Die junge Tänzerin, die ebenso wie Natascha Mair 2009 direkt von der Ballettschule an das Wiener Staatsballett engagiert wurde, ist mit ihrer spritzigen Ausstrahlung quasi prädestiniert für diese Rolle. Die eine oder andere Unsicherheit war ihr da noch anzumerken. Doch sobald sie die trickreichen Figuren gemeistert hatte, wurde ihr Tanz freier und ausgelassener. Ihr Partner Jakob Feyferlik (seit 2013 beim Wiener Staatsballett) blieb selbst im ländlichen Milieu stets eleganter Danseur noble. Kein funkelndes Liebesspiel, sondern eher kameradschaftliche Spielfreude herrschte in ihre Interpretation vor. Andrey Kaydanovskiy bewies als Witwe Simone erneut sein komödiantisches Talent, Dumitru Taran reüssierte als tolpatschiger Alain.
In beiden Vorstellungen spielte das Wiener Staatsopernorchester unter der Leitung von Simon Hewitt die Musik von Ferdinand Hérold (in der Bearbeitung von John Lnachbery) stimmungs- und schwungvoll und ganz im Sinne dieses Gute-Laune-Balletts.
(PS: Ein extra Lob für das Pony, das die Landpartie im ersten Akt geduldig über die Bühne zog. Es ersetzte den unwilligen Kollegen der vergangenen Spielzeit, der in jeder Vorstellung vor Lampenfieber Besorgnis erregend zu zappeln begann.)
Wiener Staatsballett: „La fille mal gardée“ am 24. Jänner (mit Natascha Mair und Davide Dato) und am 27. Jänner 2017 (mit Nina Tonoli und Jakob Feyferlik) in der Wiener Staatsoper. Weitere Vorstellungen am 25. und 27. Februar (mit Lidumila Konovalova, Mihail Sosnovshi, Eno Peci und Richard Szabó in den Hauptrollen).
Am 2. Februar gibt es in der Serie „Die neue Tänzergeneration“ ein Gespräch von Gabriele Schacherl mit Natascha Mair und Jakob Feyferlik in der Agrana Studiobühne | Walfischgasse