„Körperverstand“ lautet der Titel der neuen Dschungel-Produktion nach einem Konzept und in der Regie der Tänzerin und Choreografin Steffi Jöris und Anna Luise Braune. Die beiden haben einen Verein unter dem gleichen Namen gegründet, um den täglichen Konflikten zwischen Verstand und Gefühl tanztheatralisch nachzugehen. Ein spannender Ansatz möchte man meinen, der jedoch in der ersten gemeinsamen Produktion nicht eingelöst wurde.
Der Verstand (Moritz Lambert) spricht von Ordnung, festen Regeln, das Gefühl (Maartje Pasman) hält sich für das Leben schlechthin. Obwohl das Gefühl in dieser Produktion mit Körper gleichgestellt wird, wir die Message hauptsächlich durch Texte, die mehrmals wiederholt werden, vermittelt. Gleichzeitig wird hier eine Botschaft ausgesendet, wie sie seit Generationen überliefert wird: Mann denkt, Frau fühlt.
Im ersten Teil bewegen sich die beiden Tänzer von einer Position zur anderen und kommen dabei nicht richtig in Fluss. Es fehlt an Rhythmus, denn auch der Sound von Markus Jakisic wird von den Texten (bis hin zu Schreien) überlagert. An den Tänzern kann das jedoch nicht liegen. Immer wieder blitzten deren Fähigkeiten auf, etwa bei einer Szene, in der der Verstand ins Stocken kommt, was von Lambert mit präzisen Locking-Moves übersetzt wird.
Im Laufe der 65 Minuten fungiert der Musiker immer wieder als Moderator. Als der Verstand endgülitg ins Straucheln kommt, legt er ihm nahe, das Gefühl doch zuzulassen. (Die Aufforderung „Scheiß dich nicht an“ wird bei den Kids sicher ebenso erheiternd ankommen wie die dramaturgisch überflüssige Publikumsmit- und anmache.)
Die Schlüsselszene ist ein heftiger Pas de deux zwischen den beiden Tänzern, die einander anspringen, umschlingen, aufeinander hängen. Sie wollen einander überwältigen, und am Ende des Zweikampfs bleibt der Verstand am Boden liegen. Danach muss freilich ein versöhnendes happy end her. Und es kommt die lange erwartete Erkenntnis, dass es ohne Verstand ebenso wenig geht wie ohne Gefühl.
In die Debatte über Verstand versus Gefühl, Körper versus Geist, die zweifelsohne ein Kernthema für heranwachsende Jugendliche ist, hat „Körperverstand“ nichts Neues eingebracht. Dabei wäre gerade der Tanz dafür prädestiniert die überlieferte Dualität zumindest zu hinterfragen. Um aber Begriffe wie „Embodiment/Verkörperung“ und „Körperintelligenz“ erlebbar zu machen, braucht es vor allem ein choreografisches Konzept.
Erstaunlich ist auch, dass man in Zeiten, in der gesellschaftspolitische Entscheidungen aufgrund eines verschwommenen Gefühls und nicht aus Vernunftgründen gefällt werden, den Konflikt noch immer ausschließlich auf die persönliche und indivduelle Ebene bezieht. Wenn das Theater für Jugendliche bei aktuellen gesellschaftlichen Themen mitreden will, dann muss es seine Strategien wohl dringendst überdenken.
„Körperverstand“ im Dschungel Wien. Premiere am 11. Jänner 2017. Weitere Vorstellungen: 12. bis 14. und 24. bis 47. Jänner