Kann Kunst die Welt verändern, kann ein Zirkus die Welt verbessern? Am Ende der Vorstellung „Limits“ von „Cirkör“ – eine Wortkreation aus dem Französischen: cirque und coeur, also Zirkus und Herz – glaubt man es zweifellos eher als je davor. Und dass das Publikum im Grazer Opernhaus außergewöhnlich begeistert war, das war beim Schluss- Applaus keine Sache des Glaubens sondern des Hörens bei der diesjährige Eröffnung von La Strada.
Dass sich so manche(r) an die Präsentation oder zutreffender an die „Kreation“ heranarbeiten musste - auch das war zu hören am anfangs seltenen, aber zunehmend häufigeren, stärkeren Szenenapplaus. Nicht nur, weil diese Zirkusform manchem noch nicht vertraut ist (trotz kontinuierlicher diesbezüglicher Angebote von La Strada seit nunmehr etlichen Jahren), sondern vor allem auch, weil diese schwedische Truppe sich weit entfernt von allem Alltäglichen und damit von Erwartetem – und vorerst unter Umständen verunsichert. Womit aber auch schon einer ihrer Kerngedanken und Ziele angesprochen bzw. erreicht ist: Die notwendige Auseinandersetzung mit Neuem, um Limits zu erweitern, um Grenzen abzubauen oder zumindest zu überschreiten, um der Erkenntnis wegen – alles ist möglich.
Cirkör zeigt das mit Virtuosität in einem künstlerischen Programm, das immer wieder bisher nicht Gesehenes erleben lässt und Aktionen beinhaltet, die im wahrsten Sinne des Wortes un-glaublich sind. Ob beim „Musik-Jonglieren“ oder Jonglieren und gleichzeitigem Kopfball-Spiel (Peter Åberg) oder aber in einer „hand to hand acrobatic“ mit Saara Ahola; bei den variationsüberschäumenden „Flugübungen“ der „teeterboard artists“ ( Anton Graaf, Einar Kling-Odencrants), bei denen auch Spaß und beabsichtigte Tollpatschigkeit nicht fehlen; ob beim tänzerischen Spiel am/im/durch und um ihren „Asian ring“ von Manda Rydman, basierend auf poetischer Bewegungsästhetik – und deren bodenakrobatische Seite als Kontorsionistin (Schlangenmensch) zuvor schon die Münder offen bleiben ließ; oder beim Spiel mit dem Rubik’s Cube – „etwas“ anspruchsvoller gestaltet durch ein Agieren/Lösen mit verschlossenen Augen … um nur einen Teil des Gezeigten anzuführen. Zusätzlich belebt und mitreißend untermalt von Live Music Thea Åslunds.
All dies kreiert und choreographiert von Tilde Björforse, Gründerin und Leiterin des Zirkus‘. Wobei der innere Impuls für dieses, ihr optisches Zauberwerk, also sein thematischer Rahmen oder besser: sein „Tragwerk“, bislang nur als Titel, „Limits“, Erwähnung fand. Tatsächlich dreht sich aber die Gesamtkomposition um ein mutiges, hochkomplexes Miteinander von Zirkuskunst und um das zutiefst menschliche Problem von Grenzen: von mentalen, fiktiven und von realen. Die in unzähligen Variationen und Perspektiven, auf und in unterschiedlichsten Ebenen abgehandelte Thematik und seine hochaktuelle Problematik wird hier in einer derart ungewöhnlichen Weise erarbeitet, behandelt und vorgeführt, dass man nicht nur bei der Vorstellung selbst eine Zeit braucht, um das „Eigentliche“ dieses wunderbaren Gesamtkunstwerkes zu begreifen, sondern auch Stunden danach erst spürt, in welcher neuen, horizonterweiternden und tief berührenden Weise einem anhand eines optischen Spitzenvergnügens auch und vor allem innere Augen geöffnet wurden.
La Strada: Eröffnung mit "Limits" von Cirkus Cirkör im Grazer Opernhaus: 29.Juli 2016
Das Festival La Strada läuft noch bis 6. August 2016.