Zum vierten Mal macht der Choreograf und Tänzer als Intendant des Festivals „Teatro Barocco“ vergessenes Musiktheater aus dem 18. Jahrhundert neu erlebbar. In der prächtigen barocken Bibliothek des Stiftes Altenburg ist Kira von Zierotin als Medea zu erleben und ein fröhliches Gesangs-Ensemble in Josef Haydns Opera buffa „Lo speziale / Der Apotheker“. Ein genussvoller und vergnüglicher Abend.
Nicht das Stück wird in unsere Zeit übertragen, sondern das Publikum wird in die Zeit hinein versetzt, formuliert Bienert sein Anliegen. Akribische Recherchearbeit ist die Voraussetzung für jede Aufführung. Besonders beeindruckend (wie jedes Mal) die in die Bilbiothek hinein gesetzte Bühne, samt Portal und Vorhang (das Orchesterl sitzt nicht im Graben sondern auf einer Ebene mit dem Publikum). Wie ein barockes Papiertheater steht das Portal auf dem Podest, passend zu den blauen Säulen aus Stuckmarmor, die die Bibliothek zieren. Besondere Aufmerksamkeit widmet Bienert, den Freundinnen einen „Tüftler“ nennen, der Beleuchtung. Im warmen Kerzenschimmer erzählt Medea von ihrer Demütigung und zeigt ihre Wut und Kränkung in Mimik, Gestik und mit bebender Stimme.
Die Tänzerin Kira von Zierotin hat in der vierten Saison des Festivals den Gesten- und Bewegungskatolog des barocken Melodrams (Musik, Sprache, Gestik, kein Gesang) bereits im Körper gespeichert. Sie lebt in jeder Rolle und bewältigt zusätzlich eine wahre Textflut. Georg Anton Benda hat für „seine“ 1775 uraufgeführte „Medea“ das Libretto von Friedrich Wilhelm Gotter gewählt, das mit nur kurzen Texteinsprengseln nur aus dem Monolog der verlassenen Gattin Jasons besteht. So platisch, drastisch und bewegend ist der Gestenreichtum von Zierotins, dass es wenig ausmacht, wenn der Text im Piano von der Architektur verschluckt wird. Man weiß genau worum es geht und ist dankbar, dass der Kindermord, der den untreuen Jason treffen soll, hinter der Bühne passiert.
Die schreckliche Tat ist vollbracht, der Himmel vor den Bibliotheksfenstern ist dunkel geworden, die Kerzenbeleuchtung kommt voll zur Geltung, die Bühne gewinnt an Tiefe, Medea an Ausdruck. Ich leide mit ihr:
Dank Heiligste der Göttinnen! – ... Vollendet, was ihr begannt! – ... Vollendet das Strafamt! – ... Sich erhebend. Treibt ihn her! – ... Reißt ihn her den Verbrecher! – ... Daß er sehe. ... Daß er höre. ... Daß noch Götter, Götter leben! ... Peitscht ihn her! ... Peitscht ihn her! ... Treibt ihn her! – ... Reißt ihn her den Verbrecher! – ... Daß er sehe! ... Daß er höre! ... Daß noch Götter, Götter leben! – ... Peitscht ihn her! ... Peitscht ihn her! ... (Sie verschwindet.)
Nach Euripides, einer der ersten Dichter, der den Stoff auf die Bühne gebracht hat, wird Medea von Helios gerettet und fliegt in einem von Drachen gezogenen Wagen nach Athen. Davon erfahren wir bei Bender / Gotter nichts. Wir müssen nur noch erleben, wie Jason verzweifelt und sich das Schwert in den Leib stößt. Die Autoren verzichteten auf ein Happy End zugunsten der Darstellung der Emotionen.
Entspannen darf ich mich dann bei Haydns „Dramma giocoso“, uraufgeführt 1768 im Schloss Esterháza, zu einem Libretto, das Karl Frieberth nach einem Stoff von Carlo Goldoni geschrieben hat. Commedia dell’Arte also, vorgefertigte Figuren, bekannte Handlung. Schleimiger Greis will sein junges Mündel ehelichen, um an deren Erbe zu kommen. Zwei andere Bewerber wollen das auch. Nach dem Auftritt verkleideter Notare und zweier falscher Türken, die den gierigen Apotheker einwickeln, wird alles gut. Schöner Gesang, fröhliches Tohuwabohu, anmutige Regieeinfälle, Detailgenauigkeit und Spielfreude lassen vergessen, dass dieses Werk mit Rezitativen und Wiederholungen eigentlich abendfüllend ist.
Die SängerInnen: Peter Widholz als Apotheker, Sarah Marie Kramer, das etwas überständige Mündel, Julian Henao Gonzalez, der schüchterne und in der Apotheke angestellte Anwärter Mengone und ganz entzückend und schelmisch Barbara Angermaier in der Hosenrolle des eingebildeten Anwärters Volpone. Nicht zu vergessen die köstlichen stummen Apothekengehilfen, zugleich die türkischen Gefolgsleute Samuel Machto und Kyrill Zierotin.
Auch in diesem Verwirrspiel legt Regisseur Bienert nicht nur auf die Musik (auf historischen Instrumenten, vom Cembalo aus geleitet von Robert Lillinger ) sondern auch auf die szenischen Elemente besonderen Wert.
Die Fahrt ins denkmalgeschützte Stift Altenburg im östlichen Waldviertel hat sich gelohnt.
Teatro Baraocco 2015: „Medea von Georg Anton Benda / Lo Speziale von Joseph Haydn“, Premiere am 26. Juni 2015. Das schön gestaltete Programmheft bietet neben dem Libretto Gotters auch reichlich andere Informationen.
Weitere Vorstellungen an den Wochenenden bis 26. Juli 2015. Genau Daten.