Mit dem Solistenensemble Kaleidoskop aus Berlin gestaltet der Regisseur und Choreograf Laurent Chétouane eine theatrale Version der „Johannespassion“ von Johann Sebastian Bach. Singend, spielend und tanzend wandern die 12 Mitwirkenden durch das musikalische, stark veränderte, Werk. Die Hauptarbeit leistet Senem Gökçe Ogultekin, die als Evangelist etwas Struktur in die zweistündige Aufführung bringt.
Bach reduziert. Die MusikerInnen des Solistenensembles Kaleidoskop spielen eine kammermusikalische Fassung der „Johannespassion“ und singen (zaghaft und leise, weil nicht zum Singen ausgebildet) auch die Turba-Choräle. Schon damit ist dem hochdramatischen Werk Bachs die ihm innewohnende Wucht und emotionale Kraft genommen.
Chétouane geht es aber nicht um die biblische Erzählung, nicht um die Darstellung der Figuren des Dramas, wie er gemeinsam mit der Dramaturgin Leonie Otto erklärt. „Die Gruppe der zwölf TänzerInnen und MusikerInnen sucht live, ohne die Sicherheit einer festen Choreografie“ einen Zugang zu Bachs Werk. „Dabei versuchen die Beteiligten so frei wie möglich aufeinander und auf die Musik zu reagieren und gemeinsam ihr Bewegen und ihr Musizieren ,spontan’ zu organisieren.“
Vorweggenommenes Ende. Nachdem die zwölf Mitwirkenden mit leeren Gesichtern ins Publikum gestarrt haben, beginnen sie umherirrend ihren Platz zu suchen. Die MusikerInnen haben ihn schnell gefunden, die TänzerInnen (Lisa Densem, Nitsan Margaliot, Mikael Marklund, Sigal Zouk) finden ihn bis zum sehnsüchtig erwarteten Ende nicht. Disparat bewegen sie sich zwischen den später ebenfalls bewegten MusikerInnen, dieweil die Tänzerin Ogultekin die letzte Arie der Passion „Zerfließe, mein Herze, … Dein Jesus ist tot“ singt. Ein zu Herzen gehender Moment. Der einzige. Mir scheint als wüssten die Tanzenden mit der „freien Choreografie“ wenig anzufangen. Mit den immer gleichen, mitunter recht hilflosen Bewegungen (hüpfende Hasen oder betrunkene Schwäne imitierend, die Dramatik in der Musik negierend) durchstreifen sie die Bühne, taumeln, rennen, versuchen Gemeinschaft herzustellen indem sie einander oder „spontan“ auch die Musikerinnen berühren, Umarmungen konstruieren, um gleich wieder desorganisiert ihre Kreise zu ziehen oder sich an den Rand zurückzuziehen. Da wecken auch die Sessel, die kreischend über den Boden gezogen werden, keine Emotionen. Die gewollte Strukturlosigkeit der Choreografie steht in krassem Widerspruch zur affektiven Rhetorik der Musik.
Ohne Konturen und Emotionen. Immer wieder versuchen die Gruppen, einzeln oder gemeinsam, auch den Kontakt zum Publikum herzustellen, indem sie unangenehm nahe an dieses heranrücken, mit unbewegter Miene ins Leere (die Unendlichkeit?) stieren. Die Gesichter bleiben stets unbewegt, als gehörte der Kopf nicht zum Körper. Einzig Sigal Zouk (ehemals Mitglied der „Batsheva Dance Company“, Tänzerin bei Sasha Waltz und Meg Stuart) arbeitet eindrucksvoll mit ihrem Körper und zeigt auch mimisch Ausdruck und Emotionen. Zouk und der als rezitierende Erzählerin eingesetzte Tänzerin Senem Gökçe Ogultekin gelingt es dann und wann, einen Hauch von dem zu vermitteln, was Chétouane versprochen hat.
Im Grunde plätschert diese Aufführung ohne Höhepunkte dahin und an den Blicken und Seufzern des Publikums ist zu erkennen, dass es nur noch auf das Ende wartet. Auch in einer kammermusikalischen Bearbeitung des Choralwerkes (und davon gibt es einige) sollten die musikalischen Sphären klar konturiert sein, im Tanz sollte die gleiche Steigerung sichtbar werden, wie sie in der Musik zu hören ist. Das angestrebte „Zusammengehörigkeitsgefühl“ hat sich nicht eingestellt, und die Emotionen sind nicht geteilt worden. In mir sind sie erst gar nicht hoch gekommen.
Laurent Chétouane / Solistenensemble Kaleidoskop: „Bach / Passion / Johannes“, 16. Jänner 2014, Tanzquartier. Folgeaufführung am 17. Jänner 2014.