„Kharbga“, ein nordafrikanisches Gesellschaftsspiel ist titelgebend für die Produktion der französisch-tunesischen Compagnie Chatha unter der Leitung der Choreografen Hafiz Dhaou und Aicha M’Barek. Acht Tonnen Kieselsteine auf der Bühne des TQW sind kein kleiner Aufwand für dieses Gleichnis für Machtspiele, das choreografisch nur teilweise aufgeht. Im WUK beschwerten sich Alexander Gottfarb und Alex Deutinger mit Ritterrüstungen für ihr performatives Konzert.
Von den fünf TänzerInnen ist einer von Anfang an getrennt. Der sehbehinderte Darsteller bahnt sich tastend seinen Weg durch die Steinhaufen, besteigt einen davon und beginnt, darin verborgene Gegenstände auszubuddeln – einen Puppenkopf, eine Pistole, einen Blumenstrauß, eine Palme. Wie von außen gesteuerte Spielfiguren bewegen sich derweil die anderen TänzerInnen drehend zu einem dröhnend-bedrohlichen Sound über die Bühne. Klar, dass dieses Szenario gleich den Arabischen Frühling evoziert. Im Laufe der Vorstellung wird der Schauspieler eine Art Spielleitung übernehmen und die Menschen ironisch-sarkastisch zum Mitspielen auffordern. Dann bricht der uniforme Dreh-Bewegungsmodus der TänzerInnen, zum peitschenden Rhythmus der Musik (Eric Aldea, Ivan Chiossone, Hafiz Dhaou) geraten sie in einen ekstatischen Tanz, werfen ihre Körper schonungslos auf die Steinhaufen, bis der Spielleiter sie mit einer Schiedsrichterpfeife wieder zur Ordnung ruft. „Kharbga, jeux de pouvoir“ spielt geschickt mit den gesellschaftlichen Ebenen der Revolution, mit der Verwirrung der Machtverhältnisse, mit der Suche nach Eigenbestimmung des Kollektivs und des Einzelnen und der Kontrolle von außen. Analytisch und distanziert verfolge ich das Geschehen, denn das Stück schafft es nicht, das Publikum emotional zu packen – trotz der wilden Energie, die die Tänzer im Kampf mit der Kieselstein-Bühne freisetzen.
Mehr als ein performativer Gag. Im WUK sagten Alexander Gottfarb und Alex Deutinger der Kavallerie ironisch den Kampf an. Die beiden Ritter gehören der Infanterie an und ihre Heldentaten sind nicht der Kampf, sondern die Verwandlung der Ritterrüstungen in Musikinstrumente. In einer rhythmischen Choreografie vollführen sie hüpfend und rennend eine Art von Body Percussion mit Blechanzügen, wobei sie sich keineswegs schonen, sondern mit den schweren Uniformen wie wild gewordene Ritter durch den Raum fetzen. Das Konzert währt kurz, denn nach einiger Zeit fallen die beiden polternd zu Boden und können sich nur noch langsam robbend fortbewegen – auch die härtesten Männer müssen irgendwann vor einer schweren Ritterrüstungs kapitulieren. Gottfarb und Deutinger, beide sind unter anderem auch Mitglieder des Loose Collective, nehmen in "Chivalry is Dead" freilich auch den Mittelalter-Boom der Computer- und Videospiele auf die Schaufel. Im letzten Akt ihrer Performance zieht Nebel auf, die beiden entledigen sich ihrer Rüstungen. Deren Einzelteile bleiben auf der Bühne verstreut liegen - Relikte einer längst vergangenen Männlichkeit.
Cie Chatha: „Kharbga, jeux de pouvoir“ am 21. November im TQW
Alexander Gottfarb & Alex Deutinger: „Chivalry is Dead“ am 19. November im WUK
PS: Die zweite Vorstellung des Doppelprogramms im WUK, Magdalena Chowaniec’ „Sanctuary“, wird hier nicht besprochen. Nach den ersten banalen Szenen habe ich die Vorstellung verlassen – vor der allgemeinen, zwangsverordneten Publikumsbeteiligung, zu der mich das Vorangegangene keineswegs animiert hat.