Mit der meditativ-entspannenden Jonglage-Performance „Untitled_I will be there when you die“ eröffnete Alessandro Sciarroni das Tanz-Wochenende im Tanzquartier Wien. Heftig ging es am nächsten Tag weiter mit Hofesh Shechter, der den ersten Teil einer Trilogie unter dem Titel „The Barbarians in Love“ im Festspielhaus St. Pölten zur Uraufführung brachte, gefolgt von einer „Tanzkaraoke“ in der Inszenierung von Willi Dorner.
Alessandro Sciarroni ist zur Zeit einer der interessantesten italienischen Nachwuchschoreografien. Sei es seine Auseinandersetzung mit Computertechnologie (wie etwa in „Joseph“) oder mit traditionellen Ausdrucksformen aus verschiedenen Bereichen – er bringt sie in seinen Performances jeweils in einen neuen Kontext. In dem Stück mit dem abstrusen Titel „Untitled_I will be there when you die“ sind vier Jongleure auf der Bühne. Wie bei einem Warm Up beginnen sie eine Keule auf und ab zu werfen, dann kommt eine zweite dazu bis sie am Ende vier bzw. fünf Keulen ständig in der Luft halten. 50 Minuten lang ist diese Werfen und Fangen sehr präzise choreografiert. So beginnt eine Serie asynchron, die Keulen machen beim Fangen einen klatschenden Sound. Dann wird der Rhythmus geändert, die Jonglage wird synchron, die Keulen werden lautlos aufgefangen – der Musiker integriert sie in einen elektronischen Sound. Im Laufe der knappen Stunde wird die Jonglage immer komplexer. Am Ende kommen die vier Einzelakteure zusammen. Konspirativ werden sie zu einer Gruppe, die Keulen fliegen durch den Raum, von einem Darsteller zum anderen. Der Effekt ist hypnotisch. Ich versuche, die Amplituden der Wurf- und Fangwellen zu folgen, die (A-)Synchronizität zu entschlüsseln. Oder ich gerate in eine Art entspannende Meditation wie auch die Jongleure in ihren rhythmisch-repetitiven Bewegungen in eine Art Trance zu geraten scheinen. Großartig umgesetzt von den Artisten Edoardo Demontis, Lorenzo Crivellari, Pietro Selva Bonino und Victor Garmendia Toirija, die die minimalistische Musik von Pablo Esbert Lilienfeld auf eine visuell Ebene transponieren.
Hofesh Shechters „Liebeserklärung“, mit der er seine Trilogie „The Barbarians in Love“ beginnt, ist hingegen heftig. (Der Arbeitstitel lautete übrigens: "We Know".) Beginnt der Tanz noch artig zu höfischen Klängen, so werden diese bald von einem wuchtigen E-Sound ge- bzw. zerstört. Dieser Wechsel zwischen Barockmusik (von Corelli, Couperin und Martín y Coll) und ohrenbetäubendem Lärm (Shechter) bestimmt das etwa 30-minütige Stück. Wie bereits in vorangegangenen Stücken gibt es auch hier ein ausgeklügeltes Lichtdesign von Lee Curran, das immer wieder Rockkonzert-Atmosphäre evoziert. Am Ende werden die TänzerInnen an der vorderen Bühnenrampe stehen. Licht und Schatten erzeugen gespenstische Kostüme auf ihrer nackten Haut. Passend zu Halloween. Was ich hingegen vermisse, ist die weitere Auseinandersetzung mit der Bewegung. Hier tendiert Shechter zu Wiederholungen auf Kosten der Bewegungsentwicklung. Auch die Körperhaltung mit weichen, flexiblen Beine und Becken, kontrolliertem Oberkörper mit rigid-manieristischen Armen und Hände bleibt leerer Effekt – die Ton- und Lichteffekte überlagern in weiten Teilen die Message der (hervorragenden) TänzerInnen. Begeisterte der britisch-israelische Choreograf bisher das St. Pöltner Publikum mit seinen Stücken „Uprising“, „Political Mother“ und „Sun“ so war es diesmal ratlos und quittierte die Aufführung lediglich mit einem kurzen, höflichen Applaus.
Einen versöhnlichen Ausklang fand der Abend bei der „Tanzkaraoke“ von Willi Dorner, der ebenso wie Hofesh Shechter in dieser Saison Artist in Residence im Festspielhaus St. Pölten ist. Seit 2006 hat der Wiener Choreograf dieses „public dancing“ in zahlreichen europäischen Städten inszeniert, diesmal haben ihm Menschen aus St. Pölten und Umgebung Choreografien zu ihrer Lieblingsmusik geschenkt. Im Vorfeld hatte Dorner die 17 Tänze auf Video aufgenommen – an verschiedenen Orten im und vor dem Festspielhaus, in einem Garten oder in einem Autohaus. Nun durfte das Publikum seine Lieblingschoreografie auswählen und mittanzen – von Break Dance über Twist war bei den coolen Dance Moves alles dabei. Das Kostüm: rosa Filzpatschen und schwarze Handschuhe. DJ Bernhard von Zweydorff machte Stimmung, bis am Ende alle im Zuschauerraum und auf der Bühne tanzend, klatschend oder wippend mitmachten.
Alessandro Sciarroni: „Untitled_I will be there when you die“ am 31. Oktober im TQW
Hofesh Shechter: „The Barbarians in Love“ und Willi Dorner: „Tanzkaraoke“ am 1. November im Festspielhaus St. Pölten