Die vier unter dem Titel "Meistersignaturen" zusammengefassten kurzen Ballette sind seit vergangenem Mai im Repertoire des Wiener Staatsopernballetts. Eine Überraschung war nicht mehr zu erwarten. Solotänzerin Alie Firenzeist sie jedoch gelungen. In John Neumeiers Hommage an den jungen Nijinsky tanzt sie ein Solo, das bisher Männern vorbehalten war.
Schon das erscheinen der drei Erzengel (Denys Cherevychko, Kirill Kourlaev, Dimitru Taran) in „Le Soufflee de l’Esprit“ von Jiri Bubenicek ließ ahnen, dass dieser Abend ein besonderer werden könnte. Wie Schnee im Winter fielen sie weich vom Himmel, wie dieser in der Frühlingssonne verließen sie (samt den Kollegen Unterengeln) wieder die Erde. Leise und ein wenig traurig. Dazwischen aber wurde gebalgt und gepurzelt, drunter und drüber, die Damen in ihren kurzen Hemdchen zeigten ihre allerliebste Kehrseite. Die von Reina Sawai war leider zum letzten Mal zu sehen. Die Halbsolistin, die als Sylphide und Schneeflocke über die Bühne geschwebt ist und als Fee an Dornröschens Wiege tänzelte, kehrt zurück nach Indonesien.
Barockmusik und Renaissancebilder verwenden die Brüder Bubenicek (von Otto stammt das Bühnenbild und die Musikeinrichtung samt elektronischen Gewitterstürmen) für den wunderbaren „Atem des Geistes" und mit Bach tanzt auch "Vaslaw". Alles ist neu an diesem Abend, auch die Zusammenstellung der Paare. Partnerwechsel quasi.
In "Vaslaw" ist neben dem Solo, den Pas de deux und einem erotischen Pas de trois auch ein Solo zu sehen, das in den vorangegangenen sechs Aufführungen immer einem Tänzer anvertraut war. Sehr edel meist. Diesmal aber: Überraschung: Solotänzerin Alice Firenze fegt mit wehenden Locken über die Bühne, baff sitzt Vaslaw auf dem Boden. Aus einem etwas sterilen mehr als 30 Jahre alten Tanzstück wird mit einer rasanten Drehung das farbige Bild eines Künstlerlebens. Firenzes fulminantes Solo verändert das gesamte Stück und das spüren auch die Mittanzenden. Nicht nur Kimoto, der besonderen Akzent auf den unsicheren, zweifelnden Vaslaw N. setzt, auch Eszter Ledán mit Andrey Teterin, Anita Manolova mit Richard Szábo, Nina Tonoli mit Greig Mathews und im Pas de trois mit Kimoto Nina Poláková mit Ryan Booth gaben Neumeiers Ideen neuen Glanz.
"Allegro brillante“, zu kaum bekannter Musik von Peter Tschaikowski von George Balanchine choreografiert, erfreut die Gäste aus aller Welt. Da gibt es nichts zu verstehen, alles ist lieblich, zierlich, trittfest, wie das solistische Paar Kiyoka Hashimoto und Vladimir Shishov.
Zum Ausklang der sanfte Tod (Eno Peçi,) der die vier Paare heimholt, während die üppig orchestrierten von Richard Strauss vertonten romantischen Gedichte erklingen. Harmonie total vor dem Schlafengehen, wie Hermann Hesse in seinem Gedicht (3. Lied) reimt. Nina Tonoli mit Mihail Sosnovschi, Ioanna Avraam mit Greig Matthews, Alice Firenze und Roman Lazik, Ketevan Papava und Robert Gabdullin bewegen Rudi van Dantzigs Gedanken und Assoziationen zu Tod und Vergehen. Wären es vertanzte Gedichte, dann müsste man den Text auch verstehen, den Carline Wenborne tremoliert. Sie ist Mitglied des Staatsopernensembles aber hörbar keine Liedsängerin. Eher liegt ihr jubelndes, orgelndes Belcanto. Vier Paare und keines gleicht dem anderen, wie auch Klangfarbe und Stimmung der vier Lieder ganz unterschiedlich sind. Was der Sopranistin Caroline Wenborne entgangen zu sein scheint. Ihr geht es weniger um die Interpretation der Gedichte, als um die Arie und dennoch – hohe Töne verlieren sich unter dem Bühnenhimmel, tiefe sinken in den Orchestergrabe. Was bleibt sind die rauschhaften Klänge des Komponisten, dirigiert von Vello Pähn und die als Mänade die Bühne beherrschende Alice Firenze.
Meistersignaturen (Bubenicek | Neumeier | Balanchine | van Dantzig), 20. Oktober 2014, Staatsoper.
Letzte Vorstellung in dieser Saison am 24. Oktober.