Fragen nach Veränderungen. Tagebuchnotizen bzw. Bilder aus einem Film bilden das Arbeitsmaterial, das bei Christine Gaigg und Gunilla Heilborn Erinnerungen wachruft, beim Publikum wachrufen soll: Rund um das Thema der Freiheitsbeschränkung, Disziplinierung und Beziehungslosigkeit im weiteren Sinne. Im engeren Sinne haben die Projekte der beiden, die jeweils unter anderem als Choreographinnen arbeiten, dann freilich kaum mehr etwas miteinander gemein.
„Maybe the way you made love twenty years ago is the answer“, ein Zitat aus Reverend Billys herbst-Produktion des Jahres 2012, ließ nicht nur Gaigg aufhorchen, sondern lässt in seiner performativen Umsetzung im Grunde kaum jemanden kalt: Ein paar der Zuseher verlassen frühzeitig den Raum; nicht wenige schweigen beim Weggehen oder reden über andere Themen. „Jetzt kenn i mi aus“, lautet in einem ironisch-leicht ärgerlichen Tonfall der Kommentar eines älteren Mannes. Nachdenkenswert ist der von Gaigg in mehreren Abschnitten live gelesene Text ohne Zweifel. Dieses unverblümte, persönliche Mosaik aus Gedanken, Berichten und Empfindungen zum Thema Sexualität, das in der Frage gipfelt, ob die derzeit zu erlebende Reglementierung (auch) dieses Bereiches tatsächlich erstrebenswert ist, nicht vielmehr eine Nivellierung, eine Zerstörung des Wesentlichen in diesem Teil des Lebens bewirke. Die auch hier geforderte Political Correctness verursache eine Form der Sterilität – das ist einerseits aus dem Textkonvolut herauszufiltern und nicht ganz zu leugnen wie auch nicht, dass der Sexualität Lebendigkeit beraubt werde, was zum Teil provokant formuliert und unterlegt ist, manchmal auch ein wenig oberflächlich oder auch sehr subjektiv. Dass diese kaum einmal verbalisierte Perspektive in unserer immer reglementierteren Welt derart angesprochen wird, ist nichtsdestoweniger ein guter und notwendiger Akt.
Wozu allerdings drei PerformerInnen all diese Denkanstöße körperlich und mit mehr oder weniger begehrlichem und lustvollem Stöhnen und Greifen/Grapschen begleiten, kann und darf hinterfragt werden. Die darin enthaltene Inkonsequenz etwa, die darin besteht, einerseits sexuelles Tun in seiner ganzen unerotischen Mechanik wieder und wieder vorzuführen, andererseits durch seine in der Tat recht direkte Darstellung die propagierte Freiheit wenig mitreißend oder ziemlich unerotisch zu visualisieren. Man mag die eine und andere wohlgelungene Contact Improvisation-Passage zu schätzen wissen, aber immer wieder aufkommende diesbezügliche Langeweile ist kaum zu verübeln; dass man sich darüber unter Umständen entrüstet, schon eher.
„Gorkij Park2“ erreicht seine Zuseher durch Bilder und Szenen von nahezu zermürbender Emotionslosigkeit: Man tut, man bewegt sich langsam und weitgehend ziellos; wenn es ein Miteinander gibt, so ist es ein schematisches, wenn es Kommunikation gibt, so ist es Small Talk. Diese Welt der Beziehungslosigkeit gipfelt im eigenen Kopf, wo konsequenterweise auch die Beziehung zur Vergangenheit fehlt: Die Erinnerung besteht bestenfalls aus verbindungslosen Splittern. Es gelingt Heilborn in dieser Art performativen Installation eine Atmosphäre zu kreieren, die absurderweise von großer Plastizität ist. Die Fragen nach Wünschen und Sehnsüchten damals, im Russland von vor hundert Jahren, und im (immer noch) gepriesenen Westen von jetzt, hängen gleichermaßen unübersehbar wie leblos-nachdrücklich im Raum.
Was die beiden Arbeiten schließlich doch noch verbindet, ist ihr Anstoß, sich wieder einmal Gedanken zu machen über die Unzulänglichkeit von Schwarz-Weiß-Malerei.
Steirischer Herbst: Christine Gaigg / 2nd nature „Maybe the way you made love twenty years ago is the answer“ am 4. Oktober im Dom im Berg (Uraufführung), Gunilla Heilborn: „Gorkij Park 2“, am 5. Oktober im Orpheum