Unter dem Heading „Exits and Entrances“ gastierte das Bayerische Staatsballett im Tanzquartier Wien. Mit Richard Siegal und Merce Cunningham standen zwei Ikonoklasten auf dem Programm. Siegal, der für seine postmoderne, spartenübergreifende Performancekunst mit The Bakery bekannt und mehrfach ausgezeichnet wurde, versuchte in „Unitxt“ groovige Moves mit Ballett und Spitzentanz zu verbinden. Mit „Biped“ von Merce Cunningham war ein Klassiker der Moderne zu sehen.
Unter den auf die Hintergrundleinwand projizierten Riesenlerttern krabbeln die TänzerInnen wie Ameisen auf die Bühne. Dann setzt ein Beat ein, der das ganze 25-minütige Stück hindurch den Rhythmus bestimmt. Zum hämmernden Score von Carsten Nicolai hat Richard Siegal besonders den Männerkörpern den Groove erlaubt. Sie rocken ganzkörperlich im Beat der Musik. Die Frauen auf Spitzenschuhen bleiben einem formalen Tanzmodus verhaftet – William Forsythe lässt grüßen, übrigens auch beim „Bühnenbild“ mit den Worteinblendungen „Noise“, „Signal“, „Silence“. Doch Siegal fügt auch Eigenes hinzu: Es ist die Geschwindigkeit, der konstante Beat und der dringliche körperliche Einsatz, die in dieser Arbeit überzeugen. Die Frauen tragen Korsagen mit Henkeln auf der Seite und auf dem Rücken. Mit diesen Griffen werden sie von ihren Partnern in Atem beraubendem Tempo über die Bühne gehievt, geschliffen, gestoßen, und fliegen förmlich durch die Luft. Und die Männer agieren mit ihren kraftvollen und schnellen Moves mit Referenzen zur Popkultur ganz am Puls der Zeit.
Merce Cunningham, der Revoluzzer für die Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes seit den 1950er Jahren, setzt auf den Zufall. Nicht mehr die Psychologie des Menschen interessierte den ehemaligen Tänzer der Martha Graham Company bei seiner eigenen choreografischen Recherche, sondern die Bewegung im Raum. Bei den meisten seiner 150 Stücke entstanden die einzelnen Teile (Choreografie, Musik und Bühnenbild) unabhängig von einander und trafen erst am Tag der Premiere aufeinander. Oft hat er bei seine Choreografien mit einem Modulsystem von Bewegungssequenzen gearbeitet. Bei diesen Arbeiten erfuhren die TänzerInnen erst kurz vor der Vorstellung, was sie tanzen werden. (Cunningham verwendete für die Auswahl das „I Ging“.) Dieses Überraschungsmoment hielt die strenge Arbeit des Meisters immer frisch und forderte die Konzentration der TänzerInnen seiner Gruppe noch extra heraus. Doch Cunningham verfügte, dass sie sich zwei Jahre nach seinem Tod (2009) auflösen und seine Arbeit von anderen Tanzcompagnien am Leben erhalten werden sollte.
Das Bayerische Staatsballett hat mit „Biped“ ein Alterswerk des Choreografen ins Repertoire genommen, das dieser 1999 mit Hilfe seines choreografischen Computerprogramms „Lifeforms“ kreiert hatte. Es belegt wie ungebrochen innovativ und forschend er bis ins hohe Alter war. Offensichtlich hat das Computerprogramm (aus der technologischen Steinzeit) dazu beigetragen, dass Cunninghams typische Tanzmuster noch sperriger und zackiger wurden. Flüssig getanzt werden diese Bewegungen nur von den Computeranimationen, die hin und wieder auf der Bühne eingeblendet werden. Die TänzerInnen müssen hier entgegen ihrer klassischen Technik agieren. Zwar führen sie die Bewegungen (Drehungen ohne préparation und oft nur mit dem Spielbein initiiert, mit vertrackten Beziehungen der Körperteile zueinander) korrekt und präzise, aber auch sehr angestrengt aus. 45 Minuten lang harte Arbeit zur Musik von Gavin Bryars. Trotz Hochglanztrikots springt hier der Funke nicht ins Publikum, und Cunninghams Stück wirkt schlicht outdated.
Bayerisches Staatsballett; „Exits and Entrances“ am 2. Oktober in der Halle E im Museumsquartier. Eine Veranstaltung des Tanzquartier Wien.