Vielfalt und grandiose Schauplätze. Virgilio Sieni zeigt in seinem zweiten Jahr als Biennale Danza-Chef und erstmals als Festivalkurator in Venedig seine Sorge um die Zukunft des Tanzes in Italien. Er verbindet das Festival mit weiteren Schienen und Locations der Biennale und schickt neben den Stars TanzstudentInnen aus ganz Italien nach nur vierzehntägiger professioneller Vorbereitung auf Venedigs unvergleichlich schöne Bühnen.
So fand und findet man heuer von 7. bis 29.Juni und 4. bis 18. Juli zeitgenössischen Tanz nicht nur in großer Dichte an so vielen Schauplätzen und so jung wie noch nie, sondern erlebt ihn auch eng verzahnt mit der Architekturbiennale. In der 316 m langen Seilerei des Arsenals wird unter dem Titel „Tanz und Architektur“ Kreativität gebündelt und erprobt und fast täglich in Performances demonstriert. Das größte Projekt in diesem auch optisch unwiderstehlichen Rahmen beginnt mit Ende der internationalen Festivalserie: Ab 4. Juli versammelt Virgilio Sieni Menschen aus allen Regionen Italiens - Kinder und Greise, ganze Familien, Tanzprofis und Laien, Menschen mit Beeinträchtigung, Leute von der Straße - zur Erarbeitung eines gigantischen choreografischen Freskos aus 27 Bildern, die das Matthäusevangelium erzählen. Aufgeführt werden diese in drei Abschnitten im ebenfalls im Arsenal befindlichen Teatro alle Tese, letztmals am 18.Juli.
„Es ist höchste Zeit, eine neue Generation für den Tanz zu gewinnen,“ sieht Sieni es als eine Hauptaufgabe der Biennale an, die in Italien besonders gefährdete Sparte in zeitgenössischer Form zu fördern. „Zugleich gilt es Dilettantismus zu vermeiden, er ist jetzt überall und gefährdet die Kunst.“ So sind in Venedig sämtliche, mehrmals wiederholte Jugend- und Laienauftritte mit einem klingenden Namen verbunden.
Doch nicht immer gelingt die Übung. Ravels „Bolero“ etwa ist zur Eröffnung in der Säulenhalle der Ca`Giustinian eine Nummer zu groß für Kinder trotz guter Anleitung durch Christina Rizzo.
Mehr als zwiespältig nahm das Publikum auch Jerôme Bels Experimente mit Laien im Palazzo Grassi auf: Klar - so missraten Pirouetten nur, wenn man sie wirklich nicht kann. Jeden Menschen alles und erst recht das, zu dem er wie die meisten hier, wenig oder keine Beziehung hat, auf der Bühne probieren zu lassen, ist an der Grenze zur Vorführung von Unzulänglichkeiten, Schwächen, Beeinträchtigungen. Lieber laut bis 1000 zählen als tanzen fand der Konzeptchoreograf an anderer Stelle - bei 635 hatte die Geduldprobe ein Ende und die Bel-Truppe in Gauklerkostümen durfte sich doch, sogar zu Musik, etwas bewegen. Der atemberaubende Blick aus dem vierten Stock des Konservatoriums Benedetto Marcello auf Stadt und Lagune entschädigte für derart Ungemach.
Ganz anders dann die Stimmung bei den frischen, von Anton Lachky zwei Wochen lang exzellent trainierten “jungen Wilden“, auf dem Campo darunter.
Von einem Extrem zum anderen pendeln die Profis: Steve Paxton bekommt den Goldenen Löwen und bedankt sich mit seinem fasziniernden „Bound“ aus 1982, getanzt von Jurij Konjar. Echt Zeitgenössisches kommt schaurig-brutal von Enzo Cosimi (mit Paola Lattanzi), poetisch-dynamisch von Luisa Cortesi, vergnüglich gebärdenreich von Joanthan Burrows&Matteo Fagion um nur einige unter vielen, vielen zu nennen. Eine Klasse für sich: Saburo Teshigawara mit Rihoko Sato in der Uraufführung des einstündigen Solos „Lines“ im Teatro Malibran als feinstes, glasklares Netz aus Körper gewordenem Klang zur Geigenkunst von Sayaka Shoji und „Eyes Off“, wieder mit Sato, in der Cà Giustinian.
Biennale Danza, Venedig, 19 bis 29. Juni 2014; noch zu sehen: Virgilio Sienis „Vangelo secondo Matteo“, 4. bis18. Juli