Ballettdirektor Manuel Legris hats erfunden: Dem 1993 verstorbenem Tänzer zum Angedenken, dem Wiener Staatsballett zu Ehren und dem Publikum zur Freude wird die Ballettsaison an der Staaatsoper alljährlich mit der Nurejew-Gala beschlossen. Im bunte gemischten Programm präsentieren sich das Corps de Ballet, die SolistInnen und auch Gäste in bester Form.
Glänzender Rahmen. Klassische Ballett aus dem 19. Jahrhundert bildet die Klammer und gibt dem Corps Gelegenheit in steifen Glitzerkostümen und wippenden Tütüs aufzutreten. „Vals fantastique“ aus „Raymonda“ zur Eröffnung; zweiter Akt von „La Bayadère zum Abschluss. Beide Ausschnitte natürlich in der Version Nurejew nach Marius Petipa. Es darf angemerkt werden, dass Rudolf Nurejew vor allem ein Tänzer war, einer der sein Publikum ebenso begeistern konnte wie seine KollegInnen der Compagnie der Pariser Oper, die er von 1983 bis 89 geleitet hat. Doch halt, die Abschlussgala ist ein Fest und soll nicht Anlass zu kleinlicher Beckmesserei geben. Deshalb seien aus den drei Teilen, die inklusive zweier Pausen mit vier Stunden angekündigt waren und dem Publikum dennoch, wie am jubelnden Schlussapplaus zu hören war, keinerlei Erschöpfungszustand bescherten, lediglich ein paar Höhepunkte erwähnt. Völlig subjektiv gesehen natürlich und ganz und gar voreingenommen.
1. Teil: Fraglos nenne ich den Ausschnitt aus Jiri Bubeniceks wunderbarem Ballett „Le Soufffle de L’Esprit“, entstanden 2007. Doch weil das gesamte Stück des John-Neumeier-Schülers im Repertoire des Staatsballetts ist und auch im kommenden Oktober wieder getanzt wird, rutscht dieser Ausschnitt aus der traumhaften Choreografie an den 2. Platz.
Am ersten sehe ich den entzückenden Pas de deux aus Auguste Bournonvilles „ Blumenfest in Genzano“ (1858). Als verliebt tändelndes Paar entfachten Joanna Avraam und Dumitru Taran den ersten Begeisterungssturm. Avraam begeistert Direktor Legris schon seit langem, deshalb wurde sie auch im Anschluß an die Gala zur Solistin ernannt. Dass sie des Avancements würdig ist, bewies sie am selben Abend gleich noch einmal im „Manu Tanz im zweiten Akt von „La Bayadère“ .
Um den Bournonvillschen Pas de deux hoch zu heben, gibt es noch einen Grund: Die Erstaufführung an der Wiener Staatsoper fand unter der Leitung und Mitwirkung von Nurejew 1970 statt. Als Partner hatte er sich die blutjunge Wiener Tänzerin Gabriele Haslinger gewählt.Die Asuzeichnung verhieß ihr eine große Karriere. Durch zahlreiche Verletzungen ist ihr der Wunsch nicht erfüllt worden. Haslinger widmete sich dem Tanznachwuchs und war viele Jahre Pädagogin an der Ballettakademie der Staatsoper. Mit der Gala schließt sich der Kreis: Die Aufführung markiert zugleich das Ende des Berufslebens von Gabriele Haslinger.
2. Teil: So leicht fällt die Wahl gar nicht. Kirill Kourlaev in einer für Wien neuen Choreografie von Patrick de Bana? Die Gäste Anna Tsygankova und Matthew Golding (den wir bereits im Februar als Prinz Florimund in „Dornröschen“ gesehen haben. Seine Partnerin war damals Olga Esina als Prinzessin Aurora. Diesmal war sie durch eine Verletzung gezwungen, bei der Galavorstellung als Zuschauerin anwesend zu sein), schon im ersten Teil im Pas des deux des dritten Aktes (Siegfried und Odile) genossen haben? Doch da ist auch Friedemann Vogel, der bereits als Des Grieux in „Manon“, mit Maria Yakovleva schwer beeindruckt hat, mit Isabella Ciaravola, die einen Pas de deux aus John Neumeiers erst kürzlich im Theater an der Wien gesehener bereits klassischen Choreografie „Die Kameliendame“ interpretieren. Legris hat Nurejew als Idol, Neumeier übrigens Vaslav Nijinky, so stelle ich den Meister der Neoklassik auf mein Nachtkastel, oder noch besser eine seiner Choreografie und nenne als Höhepunkt von Teil II des Galaabends: „Die Kameliendame“ mit Isabella Ciaravola, ehemalige Étoile der Pariser Oper und Friedemann Vogel, Erster Solist im Stuttgarter Ballett.
3. Teil:Jetzt heißt es aufgepasst, ist doch Direktor selbst aufgetreten. Als Hausfreund Ulrich in Roland Petits „Fledermaus“ überrascht Manuel Legris mit komischen Talent, um der verheirateten Bella (wie immer hinreißend: Ketevan Papava) zu raten, wie sie ihren nächtens flügge werdenden Mann einfangen kann. Ein richtiger Spaß, den das Publikum auch gehörig honoriert.
Der König hat getanzt, doch er würde seinen Gästen niemals den Platz ganz oben streitig machen wollen. Dennoch, ich kann aus meinem Herzen keine Mördergrube machen: Für mich war der Ausschnitt aus „5 Tangos“ von Hans van Manen, interpretiert von Denys Cherevychko, der Höhepunkt. Endlich kommt auch Anna Tsygankova vor den Vorhang. Sie kennt die Wiener Staatsoper schon seit langem, war aber in den drei gezeigten Partien hier noch niemals zu sehen. Wie ihr Partner Matthew Golding es war, bevor er heuer ein Engagement beim Royal Ballet angenommen hat, ist sie Principal Dancer des Holländischen Nationalballetts. Erst kürzlich hat sie in St. Peterburg beim Dance Open Festival den Grand Prix erhalten. Die Ehre , die ihr gebührte, wurde ihr mit lautem „Bravo“ zuteil.
Brillantes Ensemble. Ehre gebührt aber auch dem Wiener Corps de Ballet, sowohl den Damen wie den Herren, für die ja auch die Klassiker auf so einem Gala-Programm stehen. Zeitgenössische Choreografen lassen kaum jemals das gesamte Corps antanzen. Zwei ganz junge Damen aus dem Corps werden auch noch besonders geehrt: Die Wienerin Natascha Mair, Absolventin der Ballettakademie und die Belgierin Nina Tonoli, die 2012 engagiert worden ist, sind zu Halbsolistinnen avanciert. Beide Tänzerinnen haben ihre Feuerprobe bereits als Clara im „Nussknacker“ (Dezember 2013) abgelegt. Auch Anita Manolova aus Bulgarien, seit 2010 Mittglied des Staatsballetts („Pastorale“ im „Nussknacker“, eine der sechs tollpatschigen Tänzerinnen im köstlichen Ballett von Jerome Robbins „Le Concert“ oder eine der weiblichen Figuren rund um „Vaslaw“) wurde zur Halbsolistin ernannt.
Wir werden die Damen weiterhin mit Vergnügen sehen. Nicht mehr sehen werden wir die quirlige Halbsolistin Rui Tamai. Mit ihrem reichen Repertoire (Amor in „Don Quixote“ oder Fee des Gesanges wie weißes Kätzchen in „Dornröschen“, wobei sie auch Rollen in „Before Nightfall“ von Nils Christe oder in William Forsythes „The Vertiginous Thrill of Exactitude“ studiert hat), kehrt sie in ihre Heimat Japan zurück. Am Galaabend war sie in einer Variation im Grand Pas von „Paquita“ zu sehen.
Debütreigen. Wie fast alle an diesem Abend Auftretenden hatte sie das Sternderl bei ihrem Namen: Rollendebüt an der Staatsoper. Auch einige der gezeigten Stücke (Szenen) sind in Wien zum ersten Mal zu sehen : Wie bereits erwähnt, Patrick de Banas „Labyrinth of Solitude“ (2011), außerdem die Nurejew-Choreografie von „Cinderella“ (Musik von Sergej Prokofjew) und die Pariser-Fassungen von „Schwanensee“ und „La Bayadère“.
Puh, das wars jetzt. Ein langes Resümee eines langen Abends und doch nicht alle und alleserwähnt, aber auch ein Lob auf eine erfolgreiche Saison des Wiener Staatsballetts.
Nurejew-Gala 2014 mit dem Wiener Staatsballett. 28. Juni 2014.
Erste Vorstellung in der Saison 2014/15 : „Schwanensee“ am 22. September.