Dass der Choreograf Hofesh Shechter wie kein anderer den Zeitgeist in seinem Tanz und seiner Musik verkörpert, beweist er in seiner neuesten Arbeit wieder eindrucksvoll. Mit „Sun“, an dessen Entstehung auch das Festspielhaus St. Pölten als Residenzhaus beteiligt war, verschmilzt der in London lebende Israeli nun den nachhaltigen Eindruck seines ersten Hits „Uprising“ mit der Wucht von „Political Mother“.
Am Anfang wird das Ende gezeigt, als Beruhigung, dass doch alles gut ausgehen werde. Die in hellen Kostümen gekleideten TänzerInnen vollführen ein artiges Hoftänzchen.
Doch die Idylle trügt. Die hellen Momente sind selten in dieser Choreografie, bei der das Tänzerkollektiv vom unbarmherzigen Beat der Musik (ebenfalls von Hofesh Shechter) voran getrieben wird. Immer wieder tauchen diese Körpercluster auf und formieren sich ständig neu. Die TänzerInnen wechseln mit kleinen Kontraktionen die Haltung, sind einmal aufrecht, werden in der nächsten Sekunde zu gekrümmten Gestalten, zu Geknechteten. Oder es entsteht ein Tanz mit schnellen, kleinen Hand- und Armbewegungen, die eine kollektive Geschichte erzählen, während die Beine im atemberaubenden Tempo des pulsierenden Rhythmus ständig in Bewegung sind. Diese grandiosen Tableaus sind gleichzeitig chaotisch und präzise. Auch in der Gruppe bleiben die 16 TänzerInnen individuell unterscheidbar.
Aber dazwischen gibt es in diesem Stück eben auch scheinbar friedliche, ja pastorale Momente, etwa wenn die TänzerInnen die auf Pappmaché-Tafeln gezeichneten Figuren zum Leben erwecken. Dann betritt eine Schafherde oder ein indigener Jäger die Bühne. Das Unheil dröhnt im Hintergrund, wenn sie einem einsamen Wolf oder einem englischen Gentleman aus viktorianischen Zeiten begegnen. Dann ertönt ein markerschütternder Schrei aus dem Publikum, der aufschreckt und in seiner Absurdität gleichzeitig beruhigt.
Hofesh Shechters „Sun“ bleibt durchwegs ambivalent. Seine „Suche nach dem Glück“ (Shechter im Programmheft) ist ein epischer Traum. Wie in Trance irrlichtern die Gestalten herum. Auch dem Entertainer, der als eine Art Hofnarr immer wieder auftaucht, bleibt bald das Lachen im Hals stecken. Die Grenze zwischen Gewalt und Unterhaltung ist hauchdünn: ein Mann wird von drei anderen verprügelt – aber halt! Er steht auf, es ist alles nur Show, Applaus.
Die titelgebende „Sonne“ kommt immer wieder vor, als Leuchtkegel von oben, als rote Scheibe oder im übertragenen Sinn als Lebens- und Glück spendendes Ambiente. Die packende Choreografie entfaltet sich im Bühnenbild von Merle Hensel, die den Bühnenhintergrund mit einem runden Prospekt überzogen hat, der im Lichtdesing von Lee Curran in allen Farben schillert.
Das Glück aber bleibt ein Vogerl. Selbst die humoristischen Einschübe sind eine Art hinterfotziger Galgenhumor. Sie mögen amüsieren und das Publikum stellenweise in falscher Sicherheit wiegen. Doch das böse Erwachen folgt gewiss.
Hofesh Shechter Company: „Sun“ am 7. Dezember 2013 im Festspielhaus St. Pölten