Von Franz Kafkas unvollendetem Roman „Amerika“ und der im Rückblick darauf entstandenen Installation Martin Kippenbergers „The Happy End of Franz Kafka's 'Amerika'“ inspiriert, zeigte die Wiener Tanz- und Kunstbewegung eine Choreografie des möblierten Textes.
Text als Partitur. Eine der Arbeitssäulen der Wiener Tanz- und Kunstbewegung, gegründet von Anne Juren und Roland Rauschmeier, ist die Verschmelzung und Überlagerung der Genres. Im neuen Stück „Happy End“, haben Juren und Rauschmeier den fragmentarischen Roman „Amerika“ (später als „Der Verschollene“ editiert) von Franz Kafka auf jene Stellen untersucht und reduziert, in denen Anweisungen oder Feststellungen physischer Aktionen enthalten sind. Eingeflossen in die Performance ist auch die letzte große Installation des 1997 verstorbenen bildenden Künstlers und Performers Martin Kippenberger. Von der Installation ist allerdings nichts zu sehen, wie auch der Text, der in Teilen anfangs von zwei Performerinnen synchron auf Englisch und Deutsch gesprochen wird, also unverständlich bleibt, nicht verbal vorhanden ist. Diesen hat Juren als Partitur für ihre Choreographie benutzt, die Installation ist Basis für einen Raum aus Licht (Bruno Pocheron) und Klang (Peter Böhm) geworden. Kurze Filmschnipsel ergänzen den virtuellen Bühnenraum. Dieser hat weder hinten noch vorne, die ZuschauerInnen sitzen an beiden Längsseiten der Bühne. Die Kehrseite ist die Vorderansicht.
Vier Tänzerinnen (Laia Fabre, Deborah Hazler, Anne Juren und Rotraut Kern) bewegen sich, ebenso wie zwei Performer (Roland Rauschmeier und David Subal) als Karl Roßmann, die Hauptfigur in Kafkas Romanfragment. Mit Schnauzer oder Kinnbart führen sie in an die Mode des frühen 20. Jahrhunderts angelehnten Kostümen (Lise Lendais) die aus dem Text extrahierten Bewegungen aus. Wobei das Spiel der als Männer verkleideten Frauen auch Ironie, sogar Komik beinhaltet. Durch die Vervielfachung der Bewegungen – im ersten Teil solipsistisch, jedoch durch Verdopplungen und Nachahmungen geprägt, im zweiten zum Beziehungsgeflecht der Figuren entwickelt, das Gewalt und Verzweiflung aber auch Fröhlichkeit (Karl landet endlich im „Naturtheater von Oklahama“, sic!) einschließt – entsteht eine neues eigenes Bild, eine Erzählung die auch die unbelesenen ZuschauerInnen für sich deuten können. Den Roman müssen sie ebenso wenig kennen wie die Installation Kippenbergers, die einem dicht möblierten Großraumbüro gleicht. Sie dürfen einfach den sich in Loops verändernden Bewegungsabläufen, der durchwegs bemerkenswerten Tänzerinnen und Performer zusehen und sich die textlichen Anweisungen dazu auszudenken. Mit der Choreografie von „Happy end“ haben Juren / Rauschmeier Kafka und Kippenberger hinter sich gelassen und durch die Übersetzung der Werke in Körpersprache eine neue Realität geschaffen.
Anne Juren / Wiener Tanz- und Kunstbewegung: „Happy End“, 25. Oktober, Tanzquartier. Die Uraufführung fand am 20. September im Rahmen des Festivals „steirischer herbst“ satt.