Bei der 66. Vorstellung von Kenneth MacMillans Choreografie an der Wiener Staatsoper, der zweiten in dieser Saison, gab es mit Robert Gabdullin als Des Grieux und Denys Cherevytchko als Lescaut zwei beachtliche Rollendebuts an der Seite der immer sehenswerten, wunderbaren Manon aka Irina Tsymbal.
Wenn sich der Vorhang zum Applaus wieder hebt, dann scheint Irina Tsymbal noch ganz in der Welt der Manon gefangen zu sein. Denn im Sterbe-Pas de deux am Ende der Geschichte des „gefallenen Mädchens“ Manon, das wegen krimineller Machenschaften nach Übersee verfrachtet wird – in Begleitung des in einer amour fou zu ihr entbrannten Des Grieux –, wird zu einer Tanzekstase. Hier läuft auch Robert Gabdullin zu Höchstform auf und erfüllt die Rolle des Liebenden, Leidenden, Hinterbliebenen mit Emphase.
Doch zurück zum Anfang, denn der gehörte vorerst Denys Cherevytchko, der in seinem ersten Auftritt seine Geliebte (durchwegs wunderbar: Ioanna Avraam) kräftig ohrfeigt und sich als brutaler Fiesling äußert. Diese Attitüde wird er bis zu seinem Tod durch den Geliebten seiner Schwester Monsieur G. M. (Kamil Pavelka) beibehalten. Auch wenn sein betrunkener Auftritt im zweiten Akt sehr komisch gelingt – Sympathien bringt man diesem skrupellosen Schacherer mitnichten entgegen. Für Cherevytchko ist dieser Lescaut ein durch und durch mephistophelischer Charakter.
Robert Gabdullin tut sich im ersten Akt mit der Rolle des jungen Studiosus noch etwas schwer. Erst als er sich nach und nach in den Strudel von Lüge, Betrug und Mord hineinlaviert, kann Gabdullin dem Des Grieux die notwendigen Konturen verleihen. Freilich, die trickreichen Variationen, ob in Soli oder Duos, fordern bei jedem noch so routinierten Tänzer erst einmal seine höchste Konzentration. Siicher wird sich Gabdullin auch noch in die Rolle des unschuldig Verliebten eintanzen.
Eine Kategorie für sich ist Irina Tsymbal in der Rolle der Manon. Sie ist nicht nur tänzerisch völlig sicher und souverän, sondern spielt auf der Klaviatur der Emotionen, die dieser Rolle bietet: herrisch, eitel, verliebt, verspielt, verzweifelt und gebrochen – diese Manon ändert sich ständig. Irina Tsymbal führt den Weg dieser jungen Frau vom Teenager bis zur Entrechteten und Ausgestoßenen packend vor Augen und entwickelt daraus ein schmerzvolles Psychogramm.
Der Dirigent des Abends Peter Ernst Lassen hätte das Drama musikalisch durchaus akzentuierter unterstützen können. Das Tanzsensemble ließ sich aber durch den nur mäßig inspirierenden Klang aus dem Orchestergraben nicht in seinem Engagement beirren und tanzte durchwegs beherzt und temperamentvoll.
Wiener Staatsballett: „Manon“ am 21. Oktober an der Wiener Staatsoper. Weitere Vorstellungen am 24. Oktober (diese Besetzung), 28. November, 6. Dezember 2013.