Justus Neumann is back. Für seine „Alzheimer Symphonie“ hat er ein Alter Ego kreiert, das viele Parallelen zu seiner eigenen Biografie aufweist. Der Alzheimer-Kranke ist ein Schauspieler, wie Neumann Jahrgang 1948, und dessen wichtigste Rolle war auch Neumanns Paraderolle: „King Lear“. Mit diesem Spiel zwischen Fiktion und Realität schafft Neumann im kleinen Zelt des Circus Elysium großes Theater, das im Zuschauer eine tiefe Betroffenheit hinterlässt.
Das Wasserglas, das der Schauspieler frenetisch gesucht hat, steckt in der Jackentasche, die Brille findet sich im Toaster wieder und die Socke taucht im Marillenkompott auf – das sind Momente, die den Gedächtnisverlust schmerzvoll vor Augen führen. Doch für den Schauspieler ist der Verlust des Textes – in diesem Fall des Monologs aus „König Lear“ die größte Niederlage. Noch versucht er, mithilfe von Requisiten, die ihm ein „Verbündeter“ (Louie Manix) bringt, die Verse zu rekonstruieren, und muss doch nach und nach erkennen, dass er den Kampf um die Erinnerung verliert. Da aber Vergessen für Neumann „die glücklichste Erfindung“ ist, die es gibt, feiert er in einer anarchistisch-kathartischen Szene die Freiheit von der Textvorlage. Die Requisiten werden zu Symbolen einer Welt, eines Textes, der in diesem Moment im Schauspieler entsteht – Shakespeare hin, Shakespeare her. Danach ist er bereit zu gehen – „heim zu gehen“, wo immer das sein mag.
Der Schauspieler erlebt die Progression seiner Krankheit in einer abgeschlossenen Welt. Greg Menthé hat mit diesem beweglichen und vielseitigen Bühnenbild ein mechanisches Wunderwerk entwickelt, platzsparend, funktionell, praktisch und mit ästhetischem Retro-Charme: ein Rollstuhl, um den herum sich Küche und Badezimmer befinden, die mit wenigen Handgriffen aus der Konstruktion auftauchen und wieder darin verschwinden.
In dieser isolierten Einsamkeit findet das Drama der Demenz zwischen Tragik und Komik, zwischen Verzweiflung und Resignation statt. Die Gefühlswelt des Kranken hat Neumann mit Regisseur Hanspeter Horner großartig differenziert gestaltet und musikdramaturgisch mit Kompositionen von Julius Schwing untermalt – unter Einbeziehung von Schuberts „Unvollendeten“.
„Alzheimer Symphonie“ ist ein einfühlsames Plädoyer für das Verständnis von Alzheimer-Patienten, die sehr oft mit „schrulligen“ und „grantigen“ Alten verwechselt werden. Und es ist ein Best Practice Beispiel, um Jugendliche für diese Thematik zu sensibilisieren. Der Erfolg schlägt sich auch in einer Verlängerung der ursprünglich geplanten Laufzeit nieder.
Justus Neumann „Alzheimer Symphonie“ im Dschungel Wien. Gesehene Vorstellung am 19. September, weitere Vorstellungen: 26. bis 29. September, 3. bis 6. Oktober 2013.