Ein Raum für das Experiment. Auf der Suche nach neuen Wegen im traditionsreichen Flamenco präsentierten sich die KünstlerInnen der ersten Ausgabe des Festivals „Flamenco im Raum“, das sich besonders zeitgenössischen und experimentellen Formen verpflichtet fühlt. Im Mittelpunkt standen der Tanz und der Gesang – in dieser Konsequenz wurde es zum Motto der Veranstaltung.
Unbekümmert, sorglos und erfrischend zerlegen Juan Carlos Lérida und Francisco Contreras, „el Niño de Elche“ und der Schauspieler und Dramaturg David Montero den vielbesungenen Mond und gleichzeitig die Formensprache des Flamenco. Im Weltraumanzug simuliert Lérida die Schwerelosigkeit während Contreras testet, wie die Stimme wohl im Weltall klingen könnte. Da wird der Mond seiner romantischen Konnotation beraubt, denn nun blicken die Mondfahrer auf die aufgeblasene Luftballon-Erde herab und spielen damit Fußball. Und wenn es um den Mond geht, darf natürlich der Fernseher nicht fehlen, der als Percussionelement, Bühnen- und Versatzstück herhält … Bei der teils improvisierten Performance, der dritten Annäherung an den Gesang (Originaltitel: „3° acercamiento al cante“) des Trios, kommt nach anfänglichem Befremden („wo bleibt da der Flamenco?“) eine unterhaltsame Leichtigkeit auf. Lérida, Contreras und Montero entwickeln das Stück entlang eines Rhythmus, der so wohl nur aus dem spanischen Tanz kommen kann – und natürlich gibt es auch bei dieser radikal dekonstruierten Flamencoshow den einen oder anderen Zapateado, die eine oder andere Gesangseinlage, Perkussion und Palmas inklusive, ergänzt durch Musik von Band.
Belén Maya entstammt ebenso wie Tomás de Perrate einer der bedeutendsten Flamencodynastien. Für die Nachfahren des berühmten Tänzers Mario Maya und des Sängers Perrate de Utrera ist es daher ungleich schwerer sich der Tradition zu entziehen. Sie versuchen es, indem sie über Video ihre Geschichte erzählen. Auch Darbietungen ihrer (übermächtigen?) Väter und Kindheitsfilme werden eingeblendet. „Tradition und Suche“ thematisiert das Ringen der beiden nach einer eigenen künstlerischen Handschrift. Mittel dazu sind Texte, besagte Videos, tanztheatrale Elemente, (elektronische) Musikeinspielungen und zahlreiche Kostümwechsel. Das Stück (in Wien fand übrigens die Uraufführung statt) kommt aber ohne den traditionellen Flamenco und dessen Virtuosität nicht aus. Besonders wenn die wunderbare Tänzerin Belén Maya das Schleppenkleid anzieht und den Umhang entfaltet scheint es aus dem damit verbundenen Bewegungsmodus kein Entrinnen zu geben. Da durfte dann auch die Zugabe nicht fehlen, bei der der konzeptuelle Ansatz einem Tanz- und Gesangsfest wich, das die am Festival teilhabenden KünstlerInnen noch einmal auf der Bühne vereinte. Dabei entfaltete Francisco Contreras seine ganze Stimmgewalt, und Lérida führte vor, dass man sehr wohl auch barfuß Flamenco tanzen kann.
Julia Petschenka, die Organisatorin des ersten zeitgenössischen Flamencofestivals „Im Raum Flamenco“ und Flamencotänzerin in Wien, ist angesichts des Publikumszuspruchs zu allen Veranstaltungen (Workshops und Aufführungen) sehr zufrieden. Bei diesem, ihrem ersten Versuch hat sie eine Facette des Flamencos gezeigt, die (hierzulande) eher unbekannt ist und so eine spannende Begegnung mit diesem Tanz im aktuellen künstlerischen Dialog, fernab von Kitsch und Klischees, ermöglicht.
Juan Carlos Lérida & Francisco Contreras, „el Niño de Elche“ am 2. August, Belén Mya und Tomás de Perrate am 3. August im off-Theater im Rahmen des Festivals „Im Raum Flamenco“