Doris Uhlich, eine der angesagtesten Choreografinnen dieses Landes, landete mit der Wiederaufnahme ihren drei Ballett-Performances im brut Wien erneut einen Publikumserfolg. „Spitze“, „Rising Swan“ und „Come Back“ waren erstmals in einem Paket zu sehen. Sowohl einzeln als auch als Trilogie nehmen sie in vielerlei Hinsicht einen Sonderplatz im zeitgenössischen Tanzgeschehen ein.
Auch wenn Doris Uhlich ihren Background nicht in der klassischen Akademie hat, kommt die Tänzerin, Choreografin und Performerin nicht um die Wurzeln des westlichen Bühnentanzes herum. Also begann sie vor fünf Jahren, sich mit Ballett auseinanderzusetzen. Außerdem wollte sie sich auch einmal den Wunsch erfüllen, von einem Prinzen auf Händen getragen zu werden. Und so lud sie zwei klassische Profis ein: die ehemalige Erste Solistin des Wiener Staatsopernballetts Susanne Kirnbauer und den ehemaligen Solotänzer der Wiener Volksoper Harald Baluch, um mit ihnen zusammen eine zeitgenössische Performance zum Thema Ballett zu kreieren. Uhlich gab dabei das choreografische Heft nicht aus der Hand. (eine Besprechung gibt es auf http://www.tanz.at/vintage.html unter Kritiken 2008/Juli 2008). Sie dekonstruierte, nahm dem Prinzen die Partnerin weg, probierte klassische Variationen nur mit dem Ports de bras im Sitzen und ohne Musik, fügte dazu biografische Fragmente der beiden Tänzer ein, die mit einer gesunden Portion Selbstironie ihre klassischen Erfahrungen kommentieren. Als dritte Tänzerin macht sich Uhlich zum Lehrling des klassischen Tanzes, zur Zuseherin im eigenen Stück, die sich nur punktuell ins Bühnengeschehen einmischt. Nach einem Anlauf auf Spitzenschuhen landet die Ballett-Novizin allerdings in perfekter Position in den Armen Baluchs.
Der zweite Teil der Trilogie, schließt unmittelbar an den ersten an. Verbindungsglied ist der Sterbende Schwan. „Spitze“ endet mit einem Sirenengasang Uhlichs zu Saint-Saëns Cellosolo. Das Trippeln auf Spitzenschuhen wird zum ärgerlichen Stampfen. Denn in „Rising Swan“ (Uraufführung 2010) kehrt Uhlich zu ihren eigenen Wurzeln zurück und die liegen in der Pop-Kultur und Anna Pawlowa dient daher als Metapher für eine Pop-Ikone, denn immerhin hat die Primaballerina der Ballets Russes das dreiminütige Solo zu einem Evergreen des klassischen Tanzes gemacht. Uhlich kommt in Motorradkluft mit Helm und im Tutu auf die Bühne, von der Ballettsprache ist in ihrem Körper nichts zu sehen. Einige Momente in diesem Solo mögen an den Sterbenden Schwan erinnern: das Trippeln, der Motorrad-Unfall als Sterbeszene, das Wasser, das, nachdem sie ihren Kopf in einen Eimer Wasser getaucht hatte, aus ihren Haaren spritzt und natürlich das Video: Pawlowa als Sterbender Schwan. Andererseits folgt Uhlich in diesem Stück freien Assoziationen über Träume von Ruhm und Reichtum, persönliche (Familien-)Geschichten und die Wirtschaftskrise. Ihr Schwan macht eine Kampfansage an den Stier der Wall Street.
War es bei Uhlichs Solo vor allem der Text, der die Performance vorantrieb, so steht im letzten Teil der Trilogie wieder der reiche Bewegungsschatz, der in den Körpern der fünf klassischen TänzerInnen (Marialuise Jaska, Susanne Kirnbauer, Percy Kofranek, Renate Loucky und Violetta Springnagel-Storch) eingraviert ist, im Mittelpunkt. „Come Back“ (2012) ist im Sinne dieser Trilogie doppeldeutig. Nicht nur hat Uhlich die fünf aus dem tänzerischen Ruhestand auf die Bühne zurück geholt, sondern ist auch in ihrer Annäherung an das Ballett wieder an den Anfang zurückgekehrt, nämlich zu den Bewegungen. Waren in „Spitze“ die Referenzen an den Bewegungskanon des klassischen Balletts noch viel vordergründiger, geht Uhlich nun den Weg der Dekonstruktion konsequent weiter. Außerdem überträgt sie das Thema der kämpferischen Revolution, das ihr „Rising Swan“ gegen den Wallstreet-Bullen aufnimmt, auf die klassischen TänzerInnen. Sie fragt sie, was sie von der 1968er Revoution denn so mitbekommen hätten und verbindet auch die Welt der Klassik mit der Pop-Kultur.
Die Aufführungen der drei Teile in Folge machten die Kohärenz und die Sorgfalt, mit der sich Doris Uhlich dem Ballett näherte und es in einen neuen Kontext setzt, offensichtlich. Bewundernswert ist nicht nur die Courage und Offenheit der TänzerInnen, die sich rückhaltlos in dieses experimentelle Format einbringen und sich auch nicht scheuen Schwächen preisgeben. Ebenso mutig ist die Choreografin, die sich ebenfalls einem Lernprozess stellte und ein Auseinandersetzung mit einem Genre suchte, das sie nicht beherrscht. Eine derartige Zusammenarbeit kann nur auf Grundlage gegenseitigen Respekts funktionieren.
Es bleibt zu hoffen, dass Uhlich mit dieser Trilogie ihre Auseinandersetzung mit dem Ballett nicht beendet hat und ihre Zusammenarbeit mit den hinreißenden Bühnenprofis wieder aufnimmt.
„Spitze“ am 4. Juni, „Rising Swan“ am 6. Juni, „Come Back“ am 9. Juni im brut Künstlerhaus.
Weitere Vorstellungen von „Come Back“ am 19. und 20. Juni 2013.