Rollendebüt für Irina Tsymbal als wunderschöne Manon. Mit berechnender Kälte treibt sie die Männer in den Wahnsinn und beherrscht auch als verliebtes Mädchen den naiven Des Grieux (Vladimir Shishov). Ihre Debüts bestanden auch Ionna Avraam (Lescauts Geliebte), Andrey Kaydanovsky (Monsieur G. M. ) und Marcin Dempc (Bettlerkönig).
Je öfter diese „Manon“, in immer neuen Besetzungen, zu sehen ist, desto deutlicher wird die feinsinnige und differenzierte Choreographie Kenneth MacMillans. Tsymbal legt ihre Manon ganz neu an: schon im ersten Akt, wenn sie Des Grieux begegnet, ist es weniger der Blitz der Liebe, der sie trifft, als die Erkenntnis, dass dieser unbedarfte Jüngling sie vor dem Kloster bewahren wird. Stahlhart funkeln ihre Augen, wenn er sie, die sich der Sünde und dem Reichtum hingegeben hat, wieder in die armselige Studentenbude zurückholen will. Diese Manon übt ihre Anziehungskraft durch eisige Distanz aus. Während die Männer glühen, bleibt sie unnahbar und unberührt. Sie sollen ihren Körper haben, doch ihr Innerstes gibt sie nicht preis, auch nicht dem Geliebten. Selbst der schmierige Bruder wird auf Abstand gehalten. In der Rolle des Lescaut vollbrachte Eno Peci eine Meisterleistung. Tanzte er doch am Abend davor seine unnachahmliche Interpretation des „Blaubart“ in der Volksoper und gleich darauf mit den neuen Partnerinnen Avraam und Tsymbal Manons Bruder. Zwischen den beiden Choreografien liegen nahezu 40 Jahre, der Körper muss sie in 20 Stunden überspringen.
Pecis Lescaut ist nicht unbedingt der charmante Kerl, der das Leben leicht nimmt und für seinen Vorteil auch die eigene Schwester verkauft. Wie diese ist er reine Berechnung, scheint wie Mephisto Freude an der Intrige zu haben. Im Salon der Madame allerdings, wenn Lescaut sich mit Wein voll laufen lässt, macht dieser hinterlistige Teufel wahre Bockssprünge. Peci, ein wandlungsfähiger und energiegeladener Darsteller, wirbelt die technisch exzellente Ioanna Avraam augenrollend und schweißtriefend unter Ächzen und Stöhnen herum, sodass nicht nur die Gesellschaft im Salon sondern auch die im Zuschauerraum ihre Freude daran hat.
Vladimir Shishov zeigt in den Pas des deux und Pas de trois, welch verlässlicher Partner er ist und überlässt es der Ballerina ihre schwebende Technik und beeindruckende Darstellungskraft zu entfalten. Das vom Dirigenten Ermanno Florio so wunderbar gedehnt zelebrierte Tempo der neuen Instrumentierung von Martin Yates scheint ihm sichtlich nicht zu konvenieren. Statt leidenschaftlicher Liebe spürt man schlappe Ergebenheit. Doch alles ist verziehen, wenn Shishov-Des Grieux seine Manon im Todessprung auffängt. Das traurige Ende hindert die Zuschauer nicht in freudigen Jubel auszubrechen.
Kenneth MacMillan: „Manon“, 2. Februar 2013, Staatsoper.
Letzte Vorstellung in dieser Saison: 9. Februar (Tsymbal, Shishov, Peci, Avraam, Dempc)