Ballett der Emotionen. Nach fünf Jahren ist Kenneth MacMillans feinsinnige Choreografie „Manon“ zur Musik von Jules Massenet wieder auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper. Mit Maria Yakovleva in der Titelrolle und dem Gast aus Stuttgart, Friedemann Vogel, als Des Grieux wurde die Eröffnungsvorstellung zum Triumph für alle Mitwirkenden.
Man kennt die Geschichte der amoralischen junge Manon, die den in sie verliebten naiven Studenten Des Grieux mit sich in den Abgrund zieht, aus der Literatur. Die lebenslustige und verführerische Schönheit hat mehr als einen Theaterautor, Librettisten und auch Choreografen inspiriert und inspiriert noch immer. Schon 1926 drehte Artur Robison den Stummfilm "Manon Lescaut". Als Aperçu: Die junge Marlene Dietrich durfte eine Kurtisane mimen. 2007 hat der chinesische Choreograf Xin Peng Wang, Ballettdirektor am Theater Dortmund, seine Version der steil bergab führenden Karriere eines, wie es einst hieß, leichten Mädchens gezeigt.
Gut 30 Jahre davor hatte eines der schönsten „Manon“-Ballette im Royal Opera House Covent Garden seine Bühnentaufe. Der Erfolg ist dem Choreografen, Kenneth MacMillan, treu geblieben. Bis heute zählt "Manon" zu den meist aufgeführten Handlungsballetten des 20. Jahrhunderts. MacMillan hat in seiner subtilen Choreografie die Personen der Handlung lebensnah charakterisiert (rund um das Liebespaar agieren Manons Bruder, der Lüstling Monsieur G. M., die Kurtisanen und Grisetten, der freche Bettlerkönig und im ersten und letzten Bild, die armseligen Gestalten der zu Gefängnis und Deportation Verurteilten, der Hungernden und Ausgebeuteten in Frankreich vor der Revolution) und mit wunderbaren Pas de deux und dramatischen Variationen ein Ballett der Emotionen geschaffen. Zum Erfolg mag auch beitragen, dass „Manon“ kein Märchen ist, sondern die lebensnahe Geschichte einer jungen Frau, die nichts so sehr fürchtet wie die Armut und an ihrer Lebensgier zugrunde geht. Eine überaus moralische Geschichte also. Schließlich ist der Schöpfer des dem Ballett zugrunde liegenden Romans „Manon Lescaut“, der als „Abbé Prevost", bekannte Antoine-François Prévost d’Exiles, von den Jesuiten ausgebildet worden.
Getanzte Liebe, getanzte Gier. Maria Yakovleva hat mich einmal gefragt: „Wie tanzt man Liebe?“ In ihrer Interpretation der Manon zeigt sie, dass sie es längst weiß. Sie tanzt Liebe und Berechnung, Fröhlichkeit, Hingabe und Gier und schließlich Elend, Schmerz und Tod. Ihr zur Seite und in nichts nach steht Friedemann Vogel (Erster Solist am Stuttgarter Ballett), ein eleganter trittsicherer Tänzer, der seine Gefühle in Geste und Mimik, in jeder Biegung des Körpers überzeugend zum Ausdruck bringt. Ein perfektes Paar, das in den Pas de deux die Augen zum Übergehen und die Herzen zum Schmelzen bringt.
Der angesehene Gast samt seiner Partnerin reißen auch das übrige Ensemble mit. Kyrill Kourlaev, Lescaut, Ketevan Papava, seine Geliebte, Davide Dato, der Bettlerkönig, Kamille Pavelka, Monsieur G. M., Dagmar Kronberger, Madame und die ihr Debüt tanzenden Kurtisanen (Maria Alati, Reina Sawei, Rui Tamai, Liudmila Trayan, Prisca Zeisel) begeistern ebenso wie das Corps de ballet.
Begeisternd ist auch die Stabführung von Ermanno Florio, der mit dem Staatsopernorchester eine neue Orchestrierung der Musikstücke Massenets bieten kann. Der britische Dirigent Martin Yates hat sie 2011 erstellt und sie entspricht mit innigem Streicherklang und verzögerten Tempi so ganz der gefühlsbetonten Choreografie. Dass die ursprüngliche Ausstattung von Nicholas Georgiadis schon bei der Erstaufführung des Balletts in Wien (1993) durch das luftig leichte Bühnenbild und die zarten Kostüme Peter Farmers ersetzt wurde, macht diese Aufführung zu einem großartigen Erlebnis. Die Bravorufe, ließen den deplatzierten Buhrufer schnell und hoffentlich beschämt verstummen.
„Manon“, Wiederaufnahme an der Wiener Staatsoper, 8. Jänner 2013.
Weitere Vorstellungen: 11.Jänner (Yakovleva, Vogel) 18., 25. Jänner (Nina Poláková, Roman Lazik), 2., 9. Februar (Irina Tsymbal, Vladimir Shishov).