Sie sind die Idealbesetzung: Irina Tsymbal und Mihail Sosnovschi. Die feurige Leidenschaft, mit der sie Romeo und Julia interpretieren, löste am 31. Oktober im gesamten Ensemble einen "Flächenbrand" aus. Bei allen Meriten früherer Besetzungen, so schön und inspiriert war die geniale Choreografie von John Cranko schon lange nicht mehr zu sehen.
Ja, so stelle ich mir Romeo vor: hitzköpfig, draufgängerisch, jung und unerschrocken. Genauso ist der Romeo von Mihail Sosnovschi. Die Begegnung mit Julia haut ihn quasi um, in seinem Werben um sie ist er aber nicht von romantischen Gefühlen, sondern von Leidenschaft und jugendlicher Ungeduld getrieben. Klar, dass die heranwachsende Julia ihm nicht widerstehen kann. Bei Irina Tsymbals Julia wird dieses physische Drängen ebenfalls spürbar. Wenn die beiden zusammen sind, dann entsteht eine eigene Welt, die nur ihnen gehört, und in der nichts anderes Platz hat. Ihre Pas de deux sind Verkörperungen einer köstlichen, jugendlich-unbeschwerten Liebe – wie sie es bei Teenagern sein sollte.
Doch diese Geschichte spielt bekanntlich im Verona vergangener Zeiten, wo der Hass der verfeindeten Familien Capulet und Montague das Klima beherrscht und vergiftet. Noch feiern Romeo und seine Freunde – großartig Richard Szabo im Rollendebut des immer zu Scherzen aufgelegte Mercutio, sehr solide Alexandru Tcacenco als sympathischer Benvolio – beim Karnevalsumzug auf dem Marktplatz. In dieser animierten Vorstellung erstrahlt John Crankos Choreografie in ungewöhnlichem Glanz. Der Karnevalstanz von Attila Bakó, Maria Alati, Emilie Drexler, Marat Davletshin und Marcin Dempe ist spritzig und humoresk und die Zigeunerinnen Ketevan Papava, Rafaella Sant’Anna und Franziska Wallner-Hollinek tändeln und flirten mit besonderem Charme.
Diesem munteren Treiben steht Eno Peci als Tybalt gegenüber, verbissen, böse und unnachgiebig treibt er den Stachel des Konflikts in die fröhlich-bunte Gruppe. Man kennt die Konsequenzen: dem frisch verheirateten Romeo brennen die Sicherungen durch, nachdem Mercutio von der Hand Tybalts fällt. Impulsiv stürzt er sich auf Tybalt und tötet diesen – was die sattsam bekannten, tragischen Konsequenzen nach sich zieht.
In der Abschiedsszene hat Irina Tsymbal das Kind Julia in eine Frau verwandelt, deren Schmerz nicht nur Romeo zu Tränen rührt. Ihre Auflehnung gegen die Eltern, ihr innerer Kampf mit der Tinktur, die Pater Lorenzo ihr als Ausweg aus der Bigamie (noch etwas blass: der neue Halbsolist Greig Matthews als Graf Paris) gegeben hat, gestalten sich zu einer Achterbahn der Gefühle.
Bis zum Gemetzel in Julias Grab bleibt dieses Drama mitreißend und spannend. Zum x-ten Mal leiden wir im Zuschauerraum mit dem jungen Paar auf der Bühne – diesmal allerdings noch etwas intensiver. Eine gloriose Aufführung mit einem wunderbar musizierenden Orchester (inklusive der diffizilen Bläsersätze Prokofjews) unter der Stabführung von Guillermo Garcia Calvo.
Wiener Staatsballett: „Romeo und Julia“ am 31. Oktober 2012 an der Wiener Staatsoper. Diese Besetzung ist noch am 2. November zu sehen. Letzte Vorstellung in dieser Saison am 6. November.