Mit der Wiederaufnahme von „Romeo und Julia“ eröffnete das Wiener Staatsballett seine Saison an der Staatsoper mit alternierenden Besetzungen. Als neuer Solist im Ensemble stellte sich Robert Gabdullin als hinreißender Romeo vor. Zusammen mit seiner Partnerin Maria Yakovleva führte er John Crankos Drama in eine zeitlose Dimension, was Olga Esina und Roman Lazik in der Vorstellung davor nicht so gut gelang.
Es hängt (fast nur) von der Disposition des Ensembles ab, ob dieses Ballett aus dem Jahr 1962 (als es in Stuttgart kreiert wurde) Patina ansetzt oder frisch wie bei der Premiere (in Wien im Jahr 1975) erscheint. Crankos hoch geschätzte Tanzversion von Shakespeares Tragödie um die verbotene Liebe zweier Kinder aus verfeindeten Familien folgt traditionell der Erzählung, Ausstattung und Kostüme entsprechen der Geschichte aus dem 16. Jahrhundert. Die „Damen der Gesellschaft“ schreiten mit einer eigen- und einzigartigen Haltung – den Oberkörper weit zurückgelehnt – über die Bühne, es wir viel gefochten und Liebe, Tod und Freundschaft werden mit emotionsgeladener Gestik und Mimik ausgedrückt.
Olga Esina, die die Rolle in der ersten Vorstellung am 14. September tanzte, ist eine edle Ballerina, aber die Rolle des unbeschwerten Teenagers fällt ihr offensichtlich wirklich sehr schwer (sie gibt das im Interview auch zu). Bereits in der Szene, in der sie unbeschwert mit ihrer Amme spielen sollte, scheint sie die Emotionen ihres späteren, so verhängnisvollen Schicksals vorwegzunehmen. Kokette Leichtigkeit gelingt ihr weder mit Graf Paris (sehr steif: Ryan Booth) noch mit Romeo. Erst im letzten Akt, als Julia mit sich ringt, bevor sie das Gift, das Pater Lorenzo ihr gegeben hat, einnimmt, läuft Esina zu Hochform auf – der innere Konflikt wird zum verzweifelten Kampf. Auch Roman Lazik ist nicht der Prototyp des jugendlichen Liebhabers. Mercutio wird von Denys Cherevychko mit technischer Brillanz und großer Attitude gespielt, aber dem Freundestrio Romeo, Mercutio und Benvolio (Marc Dempc) fehlt es insgesamt an ausgelassener Spielfreude.
Maria Yakovleva und Robert Gabdullin (Vorstellung am 17. September) sind hingegen von Anfang an hitzige Teenager. Julia trotzt dem Protokoll ihrer Eltern und rebelliert gegen die verordnete Heirat mit Graf Paris (überzeugend Alexandru Tcacenco als Verschmähter). Romeo (Robert Gabdullin) entdeckt nach diversen Liebes-Scharmützeln in Julia die romantische Liebe eines Halbwüchsigen, dem nach dem Tod Mercutios die Sicherungen durchbrennen und der seinen Freund rächen muss. Der neue Solist des Wiener Staatsballetts besticht durch seine saubere Technik ebenso wie durch seine Ausstrahlung. Auch nach der Liebesnacht bleibt Julia verspielt, und ihre Verzweiflung ist die einer Heranwachsenden, einfach und ohne großen Gestus. Auch Gabdullin bleibt bis zum Schluss ein Hitzkopf, der in die Gruft stürmt und auf seinen Rivalen Graf Paris, der ebenfalls an Julias Grab trauert, wütend losgeht und ihn ersticht. Die stimmige Interpretation der Titelrollen reißt auch das ganze Ensemble mit. Davide Dato ist ein wendig-pfiffiger Mercutio, unterstützt von Dumitru Taran als Benvolio.
In beiden Vorstellungen zeigt sich Dagmar Kronberger als Gräfin Capulet extrem wandlungsfähig, einmal als elegante Adelige, dann wie von Sinnen über den Tod Tybalts. Eva Polacek könnte sich als Amme noch etwas engagierter am Geschehen beteiligen. In beiden Vorstellungen wurde die Figur des Tybalt als die Verkörperung des Bösen angelegt. Kirill Kourlaev (14. September) und Eno Peci (17. September) optierten damit für eine etwas einseitige Darstellung dieses komplexen Charakters.
Großartig und mitreißend spielte in beiden Vorstellungen das Orchester, das die vielschichtige Musik von Sergej Prokofjew unter der Stabführung von Guillermo García Calvo in seiner ganzen Klangbreite und –tiefe entfaltete.
„Romeo und Julia“ am 14. und 17. September 2012, Wiener Staatsoper
Weitere Vorstellungen: 19., 21. September, 31. Oktober, 2. und 6. November