Luxus pur – zeitgenössischer Tanz mit Live-Musik. Bei der jungen Gruppe Feinsinn ist diese Kombination jedoch keine Extravaganz, sondern künstlerisches Programm. Es gibt einerseits die Feinsinn Band unter der Leitung von Sasha Nantschev und andererseits Feinsinn Tanz von Elke Pichler, Choreografin und Tänzerin bei den gemeinsamen Tanz- und Musikperformances und gleichzeitig Sängerin der Band.
Die neueste Produktion „to_rsO“ ist laut Programmheft die „erstmalige choreografische Umsetzung der Kompositionen Friedrich Nietzsches“. Dass der Philosoph Inspiration für ein Tanzstück ist, ist nicht weit hergeholt, hat er sich doch immer wieder mit dem Tanz beschäftigt und mit seinen Worten die Arbeit zahlreicher TänzerInnen beeinflusst (siehe auch die Buchbesprechung von „Nietzsche's Dancers“).
Sein Wirken als Komponist ist jedoch weitgehend unbekannt. Einerseits spielte die Feinsinn Band bzw. deren Solisten (Sasha Nantschev, Christo Popov, Michael Flatz und Robert Siegel) Originalkompositionen von Nietzsche, andererseits nahm Sasha Nantschev Anregungen aus Musikstücken des Philosophen – viele davon sind Fragmente – für seine eigenen Kompositionen und Songs im schrägen Pop-Sound auf.
Zu den 12 Tracks entwickeln die TänzerInnen Julia Mach, Elke Pichler und Filip Szartarski eine Art tänzerischer Aphorismen-Sammlung emotioaler Zustände von depressiver Innenschau bis zur orgiastischen Ekstase. Einerseits übernehmen sie damit die Struktur von Nietzsches philosophisch-literarischem Werk, das vorwiegend aus Gedankensplittern besteht. Andererseits wollten die PerformerInnen damit wohl auch dem Widerspruch des Phänomen Nietzsche nachspüren, dessen Schriften eine starke Vitalität widerspiegeln, dessen Körper allerdings von schweren Krankheiten gezeichnet war. Dafür sprechen auch die Kostüme – weiß für die TänzerInnen, schwarz für die Musiker – die im Laufe der Performance aufeinander „abfärben“. Das weiße Outfit wird zunehmend dreckig – es wird sogar Grafit auf den Bühnenboden gestreut, um das Weiß zu schwärzen. Die Musiker hingegen entledigen sich ihrer schwarzen Oberbekleidung und werden so „weißer“.
Eine weitere fragmentarische Komponente fügt das Bühnenbild (Stefanie Wilhelm) aus mobilen, rechteckigen, schwarzen Säulen hinzu, die die TänzerInnen immer wieder teilweise verdecken, aber auch als Beleuchtungselemente fungieren.
Auf verschiedenen Ebenen geht es in „to_rsO“ also um Bruchstücke – auch die Schreibweise des Titels reflektiert das ebenfalls. In seiner Gesamtheit bleibt das Stück (daher?) rätselhaft und schwer nachvollziehbar.
Überzeugend ist diese Arbeit aber vor allem, weil hier ist ein Kollektiv zugange ist, das zu wissen scheint, wohin der künstlerische Weg gehen soll – und dafür muss hemmungslos alles Mögliche ausprobiert werden. Bei „to_rsO“ ist das musikalische Ziel deutlicher erkennbar als das choreografische. Das Spektrum der Band Feinsinn ist breit, reicht von Balladen bis zu hartem Rock, von E-Musik über Pop zu Elektronik. Sowohl der Stilmix als auch der Sound erinnern schon mal an Björk, besonders die Songs von Elke Pichler, die auch als Sängerin agiert. Die Choreografie verfolgt ebenfalls einen eklektischen Ansatz, kann hier aber im Gegensatz zur starken musikalischen Komponente kein eigenständiges Profil entwickeln.
Umgekehrt verhielt es sich hingegen bei der Produktion „Gefühl Gesicht Gestalt“, einer choreografisch sehr konsequenten Auseinandersetzung mit der Ausdruckstänzerin Susanne Schmidas. Stand dort eindeutig der tänzerische Aspekt im Mittelpunkt, dominiert in „to_rsO“ der musikalische Part.
In jedem Fall weckt die kompromisslose und eigenwillige Suche nach der künstlerischen Identität Interesse und Neugier über den weiteren Weg der vielseitig talentierten Feinsinnigen. Locations wie die Anker Expedithalle bieten dafür einen idealen Rahmen.
Feinsinn: „to_rsO“ am 30. Juni 2012 in der Anker-Expedithalle Wien (Uraufführung: 29. Juni), Weitere Vorstellungen: 28. Juli in der Tabakfabrik Linz