Glänzend, bewegend, festlich. Zum Saisonsabschluss 2012 hat Manuel Legris seinem verehrten Mentor und Vorbild Rudolf Nurejew (1938–1993) wie schon in seiner ersten Saison an der Wiener Staatsoper einen Galaabend gewidmet. Eine Erinnerung und Ehrung also für den legendären Tänzer und Choreografen, der Legris’ Karriere als Danseur Étoile der Pariser Oper begründet und begleitet hat.
An einer Hommage krittelt man nicht herum, selbst wenn es an diesem dreiteiligen Abend etwas zu bemängeln gäbe.
Doch aus reinem Herzen kann gesagt werden: Es gibt nichts zu klagen, kaum etwas zu nörgeln. Es galt einen festlichen Abend zu genießen.
In kluger Dramaturgie bot Legris ein abwechslungsreiches Programm von klassischen Bravourstücken, neoklassischen Zuckerln und drei vollständigen Choreografien. Alle stehen in Bezug zu Rudolf Nurejew als Choreograf oder als Tänzer.
Ouvertüre ganz klassisch. Ein Ausschnitt aus dem 2. Akt von „Schwanensee“, in der Choreografie Nurejews nach Lew Ivanov stimmt auf den Abend ein. Maria Yakovleva und Roman Lazik haben die schwierige Aufgabe, das Publikum in Stimmung zu bringen.
Das gelingt danach Dagmar Kronberger und Eno Peco mühelos mit lässigem Charme und kecken Schritten. Nach dem weißen Akt der schwarze. Schwarz wie des Choreographen Humor. Kronberger und Peci legen ein Duett aus Hans van Manens „Black Cake“ (ein Geburtstagsgeschenk von van Manen 1989 an das Nederlands Dans Theater zum Dreißiger) auf die Bretter, das das Publikum nicht still sitzen lässt. Ein Mann, eine Frau. Wer hat die Macht, wer behält die Oberhand? Auf jeden Fall der Choreograf Hans van Manen, dem man heuer im Juli zum Achtziger gratulieren darf. Nach dem Geschlechterkampf wieder Ruhe und Ausgewogenheit. Im Grand Pas Classique von Victor Gsovsky brilliert eine wunderbar gelöste Liudmila Konovalova in den Armen des eindrucksvollen Principal Dancers des Mariinski-Theaters Vladimir Shklyarov als Gast.
Schöner Tod. Kirill Kourlaev durfte sich mit der Rolle des jungen Mannes in Roland Petits „Le Jeune Homme et la Mort“ einen Herzenswunsch erfüllen. Das expressive Duo mit dem Tod (Olga Esina, diesmal nicht lieblich auf der Spitze schwebend sondern unerbittlich, abweisend, überlegen) nach einem Libretto von Jean Cocteau ist eines der eindrucksvollsten Werke des im Vorjahr hochbetagt verstorbenen Choreografen und noch niemals in Wien gezeigt worden. Ausdrucksstark in jeder kleinen Bewegung ist Kourlaev dieser unglücklichen Jüngling, der von seiner Angebeteten zurückgewiesen und verlacht wird und sich schließlich erhängt, um zu erkennen, dass die Frau der Tod ist, mit dem er über die Dächer von Paris entschwindet. Eindrucksvoll und schockierend zugleich – ein Ballett, in dem sich der Tänzer auf der Bühne erhängt, braucht starke Nerven.
Beruhigung im 2. Teil durch das Adagio aus „Raymonda“. Nina Poláková hat einen weiteren Debütanten an der Staatsoper als Partner: den russischen Tänzer Robert Gabdulin, den Legris vom polnischen Nationalballett in Warschau weg engagiert hat, um ihn ab September 2012 als Solotänzer einzusetzen. Fröhlichkeit danach durch den Pas de six aus „Laurencia“, einer hispanisierenden Choreografie classique von Wachtang Tschabukiani (Uraufführung 1939, Erstaufführung der Fassung Nurejews 1964 in London). Ioanna Avraam und Denys Cherevychko führen die Paare Kyoka Hashimoto / Richard Szabó und Natalie Kusch / Davide Dato an. Später, zu Beginn von Teil III wird Kusch die Julia sein, wenn Cherevychko den Romeo tanzt. Rudolf Nurejews eigenständige Choreografie zur Musik Sergej Prokofjews wurde bei der Uraufführung 1977 bejubelt, ist aber für Wien ganz neu. Zu sehen war der Pas de deux der sogenannte Balkonszene. Julia ist aber schon aus dem Haus gekommen, die jungen Leute fallen im Garten übereinander her. Mit Cherevychko hat das Trio der Ersten Solotänzer übrigens einen vierten Kollegen erhalten. Nach dem Ende der Gala hob Direktor Legris den jungen Solisten auf die oberste Stufe der Balletthierarchie.
Der König tanzt. Zuvor aber hat der Direktor selbst seinen Bühnenauftritt im 3. Akt des Balletts „Eugen Onegin“ von John Cranko. Onegin fleht vergeblich, weil zu spät, um die Liebe von Tatjana, getanzt von der Ersten Solistin des Stuttgarter Balletts, Maria Eichwald (als Gast). Danach noch einmal eine Begegnung mit dem Tod in Rudi van Danzigs tänzerischer Deutung der „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss. Olga Bezsmertna singt die melancholischen Herbstlieder, Shane A. Wuerthner gibt eine bewegende Abschiedsvorstellung. Der Solotänzer wird gemeinsam mit Marie-Claire D’Lyse das Staatsballett verlassen. Die Paare in diesem atmosphärisch dichtem Ballett van Danzigs: Maria Yakovleva /Alexandru Tcacenco, Irina Tsymbal / Greig Matthews, Nina Poláková / Roman Lazik, Ketevan Papava / Alexis Forabosco. Gala hin – Nurejew Verehrung her: Ein gesamtes Stück beeindruckt letztlich doch mehr, als ein aus dem Zusammenhang gerissener Pas de deux oder ein auf der Spitze gedrehtes Glanzstück.
Das Ende naht mit einem Ausblick auf die kommende Saison. Konovalova und Vladimir Shishov tanzen einen Pas de deux aus Nurejews „Nussknacker“, der im Herbst Premiere haben wird. In Kostümen wie aus dem 18. Jahrhundert (Nicholas Georgiadis) drehen sich die Damen und Herren im Walzertakt. Nurejews „Nussknacker“ wird am 7. Oktober in Wien Premiere haben und damit in Wien zum ersten Mal zur Gänze gezeigt werden.
Den Kehraus des Festes macht Jerome Robbins köstliche Ballettparodie „Le Concert“. Nicht nur dem Publikum macht die Komödie zur Musik Frédéric Chopins Freude, auch die Tänzerinnen (als Solistinnen Irina Tsymbal, Franziska Wagner-Hollinek) und Tänzer (Eno Peci, Davide Dato) haben ihren Spaß an dem Stück aus ihrem Repertoire. Über die zahlreichen Ernennungen von TänzerInnen des Corps zu Halbsolisten, wird später berichtet.
Nurejew Gala 2012, 23. Juni 2012, Staatsoper.