Das Gedächtnis des Körpers stand in zwei Choreografien von Georg Blaschke im Mittelpunkt eines aufregenden Abends. In „Somatic Script“ rekonstruierten zwei Tänzerinnen und drei Tänzer ihre Erinnerungen und vermischten sie dann miteinander. Liz King ist die souveräne Solistin in „Your Dancer“, der Lebensgeschichte einer Frau, einer Tänzerin, die die Jugend hinter sich gelassen hat.
„Das, was wir lernen und woran wir uns erinnern, macht uns zu dem, die wir sind.“ (Eric Kandel, Neurowissenschaftler, Nobelpreis für Medizin, 2000.) Die Erinnerungen sind aber nicht nur in den Neuronen des Gehirns gespeichert, sondern auch im Skelett, in den Muskeln, Sehnen und der Haut des Körpers.
Wer könnte das besser wissen, als Tänzerinnen und Tänzer!
Georg Blaschke hat fünf von ihnen aus unterschiedlichen Altersgruppen eingeladen, ihre persönlichen körperlichen Erinnerungen zu erforschen, und diese dann miteinander zu einer Choreografie verwoben.
Anfangs bilden die fünf (Ewa Bankowska, Heide Kinzelhofer; Frans Poelstra, Mike O’Connor und Petr Ochvat) eine Einheit, stehen eng beieinander im Kreis, bilden dann, am Boden liegend, einen Stern. Doch bald fällt der Stern auseinander und die einzelnen PerformerInnen zeigen ihre individuellen Emotionen und Bewegungen. Allein es sind nicht fünf Individuen, die unabhängig voneinander agieren, es ist immer noch eine Gruppe, in der einer der anderen zu Hilfe eilt, in der Schutzsuchende aufgehoben werden, Schwache getragen; in der aber auch Rivalität und Kampf herrschen und dann doch die Einigkeit, die Zärtlichkeit siegt. Das Spannende an der Performance ist, wie sich das unterschiedliche Körper-Vokabular der Einzelnen zu einem „Skript“ fügen lässt. Das funktioniert für den Choreografen Blaschke sichtbar, durch komplexe Verwicklungen und Verschlingungen der Gliedmaßen und Torsos, durch häufiges Kriechen auf allen Vieren, durch Reiterspiele und vage Erinnerungen an Abbildungen aus dem Lehrbuch der Erotik Kamasutra. Einfühlsam und dezent wurde diese „Körperschrift“ durch das Sounddesign von Ulrich Troyer begleitet.
Eine abwechslungsreiche, auch überraschende Performance mit vorsichtig aufblitzendem Humor, die zeigte wie eng verbunden das, was wir Seele oder Geist nennen, mit dem Körper ist.
Nach der Pause ein anderer Ton: Liz King, 64, hat Georg Blaschke vorgeschlagen eine Choreografie für sie und mit ihr zu erarbeiten, sie wollte „seine Tänzerin“ sein. Die Uraufführung dieses wunderbaren Solos fand 2010 in St. Pölten (Festival Österreich tanzt) statt. Damals auf der relativ schmalen Hinterbühne des Festspielhause, diesmal im großen, von Säulen nahezu bedrohten Raum des Odeon Theaters. Auch diesen Raum füllte die Tänzerin, Choreografin und mit ihrer ehemaligen Company Tanztheater Wien auch Begründerin der österreichischen freien Tanzszene, mit ihrer Persönlichkeit, ihrer Ausstrahlung und Bühnenpräsenz.
Eine Tänzerin altert nicht, musste ich während des getanzten Selbstporträts denken, obwohl gerade (auch) das Altern einer Tänzerin Thema war. Nicht nur Kings (mit Blaschke erarbeitete) körperlichen Erinnerungen berührten auch das (vornehmlich junge) Publikum, sondern auch die Offenheit der Choreografie, die Raum für Assoziationen und Identifikationen lässt, ohne beliebig zu sein. Auch diese Choreografie wurde vom Soundtrack Ulrich Troyers unterstrichen und betont. Die ausführliche Würdigung dieses Meisterwerks ist in der Rezension von Edith Wolf-Perez nachzulesen.
„Somatic Script / „Your Dancer“, 23. Oktober 2011, Odeon Theater Wien.