Mit der Serie „signed, sealed, delivered“ lieferten die Wiener Festwochen in Kooperation mit dem Tanzquartier Wien ein buntes Performance/Tanz-Paket an. Sechs Stücke standen auf dem viertägigen Programm der langen Nächte. „Uhlich“ stach dabei in vielerlei Hinsicht hervor.
Doris Uhlich wollte in die Zukunft blicken, sehen wie sie in dreißig Jahren sein würde. Und wer könnte die Choreografin besser repräsentieren als ihre Mutter? „Uhlich“ nannte sie daher das Stück, in dem ihre Mutter Gertraud das erste Mal in ihrem Leben auf der Bühne stand, und das gleich eine Stunde lang als Solistin. Doris hat ihre Art zu choreografieren nicht verändert. Text, Bewegung und Lieder spinnen einen assoziativen Faden, den der Zuschauer zu entschlüsseln hat. Gertraud hat sich auf einen intensiven Probenprozess eingelassen – jede Geste, jedes Wort und jedes Lied sitzt. Ob schusselig, zappelig oder zielgerichtet – immer bewegt sich Gertraud gewandt über die Bühne, schreibt riesengroße Lettern auf den Boden und lässt sich nie zur Eile verführen. Das ist bei dieser minimalistischen Choreografie an sich schon erstaunlich. Natürlich würde auch die alternde Doris Jacques Derrida lesen und so verliest Gertraud ein Stück aus einem seiner Texte und timt ihre Pause nach einem der elendslangen Sätze des Philosophen perfekt – der fragende Blick schweift ins Publikum und bleibt dort für den Bruchteil einer Sekunde hängen. Dann singt sie ein Lied mit einem Text mit hintergründig-gemeinen Ratschlägen an die Jugend, ein anderes über den Untergang der Titanic mit ebenso schwarzhumorigen Refrain. Ob Doris in Gertraud nun ihre Zukunft erkennt oder nicht, ist mittlerweile unerheblich. Das Geschenk, das die beiden Frauen dem Publikum gemacht haben, ist viel wichtiger: Sie haben Einblick in eine Mutter-Tochter-Beziehung gegeben, die von Vertrauen, Respekt, Mut und Verständnis geprägt wird und damit die Herzen berührt.Rosalba Torres Guerrero, ehemalige Tänzerin von Les Ballets C. de la B. und der Videokünstler Lucas Racasse arbeiten ebenfalls mit dem Phänomen der Übertragung. „Pénombre“ ist das einzige Stück der Performance-Reihe, das eine Geschichte erzählen will. Es thematisiert den Wunsch nach einer totalen Verschmelzung mit einem anderen Wesen (von Mutter und Kind?). Torres Guerrero mutiert von einem haarigen Monster zur Frau, die in einer Art Obsession die Verbindung zu ihrem Alter Ego sucht, das als Video zuerst in ihren Körper als Embryo eindringt, dann auf den Leinwänden unerreichbar erscheint. Jede Begegnung der beiden führt bei der Tänzerin zu neuen Metamorphosen. Wenn am Ende die Videofigur (Uiko Watanabe) mit Torres Guerreros Körper verschmilzt, lösen sich ihre schmerzhaften Mutationen in einem Zustand der Entspannung auf.
Zwei Produktionen beschäftigten sich exklusiv mit Medientechnologie und lassen dabei narrative Zusammenhänge außer Acht. Jan Machacek agiert in „Show Ghost“ in einem komplexen Bühnenaufbau aus Spiegeln, Videoscreens, Soundtechnik und Kameras und erzeugt optische Illusionen am laufenden Band. Eine Modellbühne ist der Videoraum, in dem seine Aktionen projiziert werden. Mit computertechnischen Tricks wird sein Image gesplittet, vervielfacht und zu optischen Illusionen verändert. Dazwischen sind Tonausschnitte aus einem Fassbinder-Film eingeblendet. Machacek selbst singt ein Lied in schöner Lou-Reed-Manier. Das alles ist ebenso beliebig wie der Hund, den Machacek in der Modellbühne aufbaut, und auf dessen Körper zuerst der Kopf des Performers, dann der originale, wackelnde Dackelkopf sitzt. Die Spannung der technischen Spielereien erschöpft sich daher ziemlich schnell, denn als Zuschauerin ist man nur damit beschäftigt, die Illusionstechnik zu durchschauen.
Diese zu entzaubern versuchen Luke Baio und Dominik Grünbühel in „shoot me“. Sie verwandeln das Tanzquartier-Studio in ein Aufnahmestudio, das sie ständig verändern. Schwarze Vorhänge werden umgehängt, Tapes geklebt und wieder abgenommen, Aktionen in Szene gesetzt und das alles wird gefilmt. In der einstündigen Aufnahmen verändern die beiden immer wieder ihr Outfit, erscheinen mal im ganzweißen Anzug, dann wieder im weiß-schwarz geteilten. Außer in wenigen Momenten, in denen sie das Publikum für ihre Aufnahmen brauchen, scheinen sie es zu vergessen, und sind ganz auf ihr Shooting konzentriert. Die scheinbar sinnlosen Aktionen dieser Performance werden am Ende in einer Filmvorführung aufgelöst – inklusive Popcorn-Verteilung ans Publikum. Die zuvor auf dem Boden geklebten weißen Linien sind im Film ein komplexes Treppengefüge, auf denen die Balanceakte, die sie zuvor auf ebenem Boden vorgeführt haben, in einem neuen, sinnvollen Zusammenhang erscheinen. Auch wenn die Lichtverhältnisse im Tanzstudio nicht den Idealbedingungen eines Aufnahmestudios entsprechen und daher die optischen Tricks nicht immer perfekt auf der Leinwand funktionieren, ist „shoot me“ eine interessantes Experiment zwischen live Performance und einer durch die Medien veränderten Realität. Damit sind der persönlichen Interpretation keine Grenzen gesetzt, doch Baio und Grünbühel legen es mit ihrer selbstverständlichen und unprätentiösen Art wohl nicht auf vordergründige Aussagen an.
Davon gibt es dafür im Dialog zwischen Anna Mendelssohn (künstlerische Leitung) und Alex Deutinger genug. Die beiden sitzen einander auf Stühlen gegenüber und führen ein einstündiges Gespräch zwischen Beziehungskiste und Allerweltspolitik. Dieses kommt jedoch nicht über Banalitäten hinaus und führt mit seiner Fokussierung auf die Sprache unter Ausklammerung der Körpersprache bald in die intellektuelle Leere.
Um das Miteinanderreden, um Kommunikation und Verständnis bemühen sich auch Martina Ruhsam und Vlado G. Repnik mit ihrem Team. Aber mit welchem Esprit und Witz! „How Far Can We Talk?“ ist eine intelligente und amüsante Performance aus Live-Elementen und aufgezeichneten Video-Fragmenten, die weniger Thesen aufstellen und gar nicht mit dem Zeigefinger drohen, sondern auf selbstironische Weise zeigen, wie schnell das Ende des Verstehens erreicht wird. Im Live-Act stellen sich fünf Frauen vor, indem sie überaus geschickt große beschriebene Visitenkarten aufblättern. Nach den Selbstaussagen werden an das Publikum Fragen gestellt. Noch muss man nur in Gedanken sich selbst antworten, später werden Stifte und Blätter verteilt und wer Lust hatte, durfte auf die Fragen „And you?“ von seinen Träumen und Wünschen erzählen. Mit der Videokamera wurden die hochgehaltenen Antworten (es gab tatsächlich einige), auf die Leinwand geblendet. Davor waren in trickreichen Videoaufzeichnungen witzige Diskurse eines Künstlers über die Sexualität der Dinge oder die sexuelle Beziehung zu den Dingen (nämlich ein Betonklotz) zu sehen und auch ein unhörbarer Vortrag über Steine in einem Container war zu sehen. Warum der Vortrag unhörbar blieb, wurde natürlich erklärt und auch die Einblendungen „Noch immer ist nichts zu hören“, verhinderten Langeweile. Das nachgespielte Interview (möglicherweise mit Originalton) mit Jacques Derrida, warum er keine und dann doch eine Bildveröffentlichung von sich gestattete, unterhielt und erklärte gleichzeitig die Absicht der abwechslungsreichen Aufführung. Bis auf den Jüngling, der anfangs zwei Minuten ins Publikum starrt, nach einem ungelenken Hüpfer abgeht und nie mehr auftaucht, eine gut getimte Performance, die auf kurzweilige Art verständlich machte, dass man sich selten verständlich machen kann.
Signed, sealed, delivered, 31. Mai bis 4. Juni 2011 im Tanzquartier Wien im Rahmen der Wiener Festwochen