Jan Lauwers’ Needcompany hinterfragt in ihrem am Wiener Akademietheater entstandenen neuen Stück Die „Kunst der Unterhaltung“ gemeinsam mit Mitgliedern des Burgtheaterensembles die Grenzen des Entertainments und lässt dabei die vielschichtige Intensität früherer Arbeiten vermissen.
Nicht nur Michel Houellebecq tut es. Auch Jan Lauwers kokettiert in seinem neuen Projekt mit dem eigenen Tod. Was der vieldiskutierte französische Autor in seinem jüngsten Werk als brutalen Mord an seiner in einer unwirtlichen Welt vereinsamten Romanfigur Houellebecq ersinnt, bringt der belgische Theatermacher als zelebrierten Selbstmord im Rahmen einer TV-Show vor Millionenpublikum auf die Bühne. Seine Hauptfigur, einen alternden, an Verve und Strahlkraft verblassenden Schauspieler, verbirgt er diskret hinter dem Anagramm Saul J. Waner. „Die Kunst der Unterhaltung“ ist der programmatische Titel des jüngsten Stücks der Needcompany, das die Bühnenkünstler aus Brüssel gemeinsam mit den Schauspielern des Burgtheaterensembles Michael König und Sylvie Rohrer erarbeitet haben. Ein Titel, der ein gelungenes Exempel für „best practice“ versprechen könnte oder einmal mehr den Versuch ankündigt, über den Stand des Entertainments in einer Welt der tabulosen Vergnügungskultur zu reflektieren. Lauwers macht die Theaterbühne zur Fernsehbühne und trägt sein Setting so dick wie möglich auf: eine zynische Moderatorin im Outfit eines diabolischen Zwitterwesens führt durch eine Reality-Show (der Gast begeht in Anwesenheit seiner Geliebten vor laufender Kamera Selbstmord), die mit einer Kochsendung (ein Starkoch bereitet die Henkersmahlzeit, die als Hauptgericht eine junge Frau zum Verzehr vorsieht) und Comedy-Momenten (ein Entertainer gibt schlechte Witze in Serie von sich) kombiniert ist. Eine Kamera auf der Bühne sorgt dafür, dass das Spektakel nicht nur von außen (durch das Publikum im Saal und an den vermeintlichen Fernsehschirmen) verfolgt werden kann, sondern auch von innen, aus sich heraus auf mehrere kleine Bildschirme auf der Bühne projiziert wird. Es gibt nichts mehr, was nicht zu sehen ist. Fernsehen als das Medium, das jeden Funken an Illusion in der Unterhaltungskunst entkräftet hat. Doch am dramatischen Höhepunkt der TV-Show wird das Theater zum Ort, der das Spiel der Illusionen und damit die Kunst der Unterhaltung am Leben erhält, denn Saul J. Waner stirbt vor den Fernsehkameras nur einen Theatertod und kehrt unverzüglich ins Leben zurück.
Ist es der Ausdruck ultimativer Radikalität oder Symptom einer profunden Sinnkrise, wenn der Künstler den eigenen Tod inszeniert und aus dem eigenen Ende den Stoff für seine neue Kreation schöpft? Vielleicht ist es auch nur kokette Lust an der Provokation. Anarchischer Humor zieht sich im bewährten Sprachengewirr durch alle Produktionen der Needcompany. Was ihre Akteure auch in „Die Kunst der Unterhaltung“ vermitteln, ist das spürbare Vergnügen auf der Bühne zu agieren. Womit sie überzeugen, ist ihre Präsenz und Nonchalance, mit der sie als Tänzer wie als Schauspieler den Raum einnehmen. Mit Stücken wie „The Lobster Shop“ kreierte Jan Lauwers ein zeitgemäßes Tanztheater, wo Tanz, Narration, Video und Musik ein eindringliches Ganzes schufen – dies gerade in Zeiten, wo Selbstreferenz und Selbstreflexion als Thema den zeitgenössischen Tanz nicht mehr loszulassen schienen. Mit „Die Kunst der Unterhaltung“ ist die Needcompany selbst dieser Versuchung erlegen.
Needcompany „Die Kunst der Unterhaltung“, Akademietheater am 9. März 2011