Zwei Duos waren am zweiten Abend des Festivals tanzwut im Kosmos-Theater zu sehen. Julia Mach zeigte mit Anna Nowak ihre Choreografie „alien anonymous“ und Claudia Wagner hat mit Michael Dolan nach originalen Feldpostbriefen „Zeilenabstand. Je suis seul ce soir“ erarbeitet. Beide Choreografien hinterließen einen eher zwiespältigen Eindruck.
Julia Mach hat den Science-Fiction-Roman „Solaris“ von Stanislav Lem gelesen und sich dabei für die Begegnung des Psychologen Kris mit einem Avatar seiner verstorbenen Frau in der Raumstation Solaris interessiert.
Im weißen Kleid tritt sie als „Harey“ der virtuellen Kopie der Verstorbenen auf. Später erscheint eine zweite Figur, fast eine Kopie der Kopie, gleich gekleidet, die anfangs auch die gleichen Bewegungen macht. Doch bald löst sich diese Doppelgängerin (Anna Nowak) von ihrem Vorbild, macht ihre eigenen Bewegungen, die wieder von dem Originalalien kopiert werden.
Gegen Ende wird eine Annäherung der beiden Wesen versucht, doch nicht mal die Fingerspitzen berühren sich, eine Berührung gelingt nicht. Die weißen Wesen driften wieder auseinander.
Machs Tanzsprache ist abgehackt und setzt sich als Puzzle zusammen, das durch lange Gänge quer durch den Raum viel zu oft unterbrochen wird. So entstehen kleinteilige Skizzen von immer gleichen Arm- und Handbewegungen, die auch vom plötzlichen Fallen der Figuren abrupt beendet werden. Das Licht wechselt von strahlender Weiße in braune Dämmerung, ohne dass klar wird, warum. Bei einem ersten Showing im Frühjahr im Odeon Theater wirkte „alien anonimous“ noch als Work in Progress, die kleinere Bühne im Kosmos Theater, lässt besser ahnen, was Machs Intention ist, wirklich klar wird es auch hier nicht.
Viel zu viel vorgenommen hat sich die Performerin, Choreografin, Musikerin, Soziologin und Gründerin der Performanceplattform „changing positions“ (Biografie im Programm) Claudia Wagner mit der Verwurstung von Briefen eines frisch verheirateten Paares aus den Zeiten des Krieges (1940–1945). Mutet schon der französische Titel „Zeilenabstand – Je suis seul ce soir“ für Briefe zwischen der Wienerin Marlene und dem eingerückten Ehemann Theo etwas sonderbar an, so gelingt es Darstellerin Claudia Wagner in keiner Phase irgendeine Atmosphäre zu schaffen. Stellenweise wird der belanglose Inhalt der Briefe ( überbetont gelesen von Monika Maria Pawel und Karsten Lochau) einfach durch Gesten illustriert. Michael Dolan, der mit vollem Körpereinsatz präsent ist, scheint in einem anderen Stück aufzutreten. Hin und her flatternde weiße Stores, die auch als Videowand dienen, auf der immer wieder beschriebene Zeilen als Pausenfüller erscheinen, ein Kasten, aus dem die Protagonistin zu Beginn herauswinkt, ein Tisch mit Sessel und eine kleine rote Gießkanne sind die Versatzstücke eines Theaters der Vergangenheit. Warum französische Chansons völlig sinnentleert bis zum letzten Refrain abgespult wurden, mag sich aus den Vorlieben der Mitwirkenden (Martin Kratochwil - Komposition, Gerald Igor Hauzenberger - Film, Helen Farnik - Licht) erklären, mit dem Stück hatte das wenig zu tun. Ohne Dramaturgie, Regie und kritischer Begleitung bleibt dieser „Zeilenabstand“ bestenfalls gut gemeint.
„Alien anonymous“ / “Zeilenabstand. Je suis seul ce soir“ im Rahmen von tanzwut, Kosmos Theater, 12. November 2010.