In seiner Tänzerkarriere hat er den Romeo selbst vielfach verkörpert – nun schuf Salzburgs Ballettchef Peter Breuer seine „Romeo und Julia“-Version für seine Compagnie. Zeitaktuell und doch zeitlos – setzt er die Liebe zweier Menschen zueinander, die nicht sein darf, in einen heutigen gesellschaftskritischen Konnex.
Die szenische Idee bzw. das Konzept stammen von Peter Breuer und Andreas Geier; letztere zeichnet auch für die Dramaturgie verantwortlich. Den Rahmen der Handlung findet er im Ballettsaal – die Tänzer bereiten die Produktion von Romeo und Julia vor. Die aus einem anderen Kulturkreis stammende Tänzerin Julia kommt neu zur Truppe, erhält die Hauptrolle, verliebt sich nicht nur laut vorgegebener Handlung in ihren Partner Romeo. Bei der Aufführung kann ihr im Publikum sitzender Bruder gleichsam als Tybalt das Spiel nicht als solches sehen, für ihn ist die dahinter stehende Gefühlswelt so offensichtlich, dass er eingreifen muss, um seine Familienehre wieder herzustellen: durch die Vermischung von Realität und Theater kommt es zur Katastrophe. Darf trotz des dagegen setzenden Drucks der Gesellschaft zueinander finden, was gefühlsmäßig zueinander gehört? Kann es ein Happy-End geben, wenn sich die Liebenden über alle gesellschaftlichen Konventionen hinwegsetzen? Diese Fragen greift Peter Breuer in seinem Werk auf.
Während im 1.Akt die dramatische Entwicklung der Handlung im Vordergrund steht, liegt im 2.Teil der Schwerpunkt auf der Gefühlsebene und deren bildlicher Darstellung. Parallel dazu das Schuhwerk: beginnend mit Spitzentanz, wechselt Julia bald auf Halbspitze, zuletzt sind beide Protagonisten barfuß: die reine, wahre Liebe bleibt bestehen. Als wohlbekannte Regie-Kniffe setzt der Choreograf die „Freeze“-Technik ein, spielt mit Schattenkonturen im Gegenlicht und benützt als Sinnbild der reinen Liebe im Finale einen Regenguss, lässt sein Liebespaar nach der Liebesszene auf dem nassen Bühnenboden also dahinschlittern und -gleiten, um so sichtbar zu machen, wie sie (den anderen) ausgeliefert sind. Als weitere Besonderheiten fallen hier auch einige neuartige personelle Gewichtungen auf: Die Partie der Rosalinde wird dabei ebenso aufgewertet wie diejenige von Julias Mutter; Pater Lorenzo hat eine stücktragende Aufgabe als Ballettmeister, der die Proben leitet und so in den Strudel der Ereignisse mit hineingezogen wird. Statt der Amme fungiert Julias Freundin als Überbringerin der Liebesnachricht.
Als Musik (Tonband) verwendet Peter Breuer die allseits bekannte Komposition von Sergej Prokofieff, kombiniert sie aber anders als man es z.B. von John Crankos Fassung kennt. Durch diese ungewohnte Zusammenstellung erhält das Ballett eine zusätzliche packende Komponente.
Ausstatter Dorin Gal schafft für diese Produktion einen kühlen Bühnenraum, als Gegenpol zu den hitzigen Ausbrüchen der Emotionalität. Im Ballettsaal gibt es Stangen und eine Spiegelwand; die beiden übermächtigen Familien werden durch zwei monumentale Stahlgerüste symbolisiert, zusätzlich dazu gibt es Flaggen mit den Familienwappen als drohende Sichtbarmachung der Allmacht. Die kulturelle Verschiedenartigkeit als Knackpunkt der Auseinadersetzung äußert sich v.a. bei den Frauengestalten einerseits in Kopftüchern und langen Röcken sowie in Dirndltracht. Ins rechte Licht gesetzt wird von Peter Breuer und Eduard Stipsits.
In seiner ambitionierten Compagnie hat Peter Breuer, der in dieser Saison sein 20Jähriges Jubiläum als Ballettdirektor in Salzburg begeht (!), genau die richtigen Persönlichkeiten für die von ihm intendierte Interpretation. Lilija Markina ist als Julia eine sensible, unschuldige, aber von Liebe zum Tanz durchdrungene junge Frau, die sich in aller Bescheidenheit und Demut dennoch über alle Grenzen ihrer Herkunft hinwegsetzt, um Tänzerin zu werden. Bald aber werden die Gefühle zu Romeo bestimmend – diese Liebe ist unendlich, bleibt ewig bestehen. Daniel Asher Smith ist als Romeo der draufgängerische stürmisch liebende junge Mann; ein kraftvoller Tänzer mit viel Gefühlstiefe. Cristine Uta (Mutter Capulet) ist hin und her gerissen zwischen den eigenen Traditionen und dem Mutterstolz über ihre wunderschön tanzende Tochter. Diese Zerrissenheit als körperlich spürbare Qualen macht sie sehr eindringlich deutlich. Alexander Korobko (Tybalt) ist Julias Bruder, blind vor Hass ist er heißblütig und eiskalt zugleich. Josef Vesely führt souverän gleichsam als roter Faden durch die mehrschichtige Aktion auf der Bühne – als Ballettmeister wie als Pater Lorenzo. Marian Meszaros zeigt sich als sprungstarker Mercutio und überzeugt als ehrlicher, treuer Freund von Romeo – im Spiel wie im Leben. Ihm zur Seite ergänzt Junior Demitre als Benvolio das Männerkleeblatt. Eriko Abe ist neu im Ensemble und gefällt mit ihrer Charakterisierung der eifersüchtigen Rosalinde: Sie ist voller Neid, weil die „Neue“ die Hauptrolle erhalten hat. Anna Yanchuk kann sich in der Partie als Julias Freundin von Herzen über deren Besetzung als Hauptrolle freuen und fungiert auch noch als Postillon d´Amour. Das gesamte Ensemble tanzt mit viel Engagement und erntet am Ende zu Recht jubelnden Beifall.
Peter Breuer: ROMEO UND JULIA, Salzburger Landestheater, 28. Oktober 2010