Bereits zum 7. Mal stand die westungarische Stadt Györ ganz im Zeichen des Tanzes. Auf mehreren Plätzen in der Stadt wie auf dem Hauptplatz, dem Platz vor dem Nationaltheater, der großen Bühne im Nationaltheater sowie auf der kleinen Bühne im Dachgeschoß des Theaters wurde getanzt.
Von Volkstanz bis Hip Hop, von klassisch bis zeitgenössisch, von Showdance bis Disco und Tanztheater reichen die Darbietungen der Amateure wie Professionals. Dazu kamen Fotoausstellungen in den Restaurants in der City; und anlässlich der kürzlich erfolgten „Carmen“-Ballettpremiere findet sich sogar ein „Carmen“-Menü auf der Speisekarte im Belgian Beer Café. Public Lectures über den deutschen Tanzfilm und Tanz im Fernsehen (präsentiert von Heide-Marie Härtel) sowie ein Künstlergespräch mit dem 98jährigen Impresario Paul Szilard (er betreut u.a. das Alvin Ailey American Dance Theater) moderiert vom Wiener Ballettchef Gyula Harangozó rundeten das Programm ab. Dieses Einbeziehen der gesamten Stadt macht das Festival zu einem gemeinsamen Tanzfest für jung und alt. – trotz Fussball-Weltmeisterschaft wurden die Aktivitäten begeistert angenommen. Die Vorstellungen waren sehr gut besucht bis ausverkauft.
Das ungarische Tanzfestival organisiert vom Ballet Györ (Leitung: János Kiss) in Kooperation mit der Association of Hungarian Dance Artists findet jeweils in Jahren mit gerader Zahl statt, wird jedes Mal erweitert und hat sich so zu einem wichtigen künstlerischen Fixpunkt in der ungarischen Tanzszene entwickelt.
Gala-Abend mit den Nachbarländern
Erster Höhepunkt des Festivals war der Gala-Abend am 24. Juni im Nationaltheater. Gäste der benachbarten Länder und ungarische Compagnien bestritten die Vorstellung. Den Beginn machte das Pécsi Balett mit einem Auszug aus „Change back“, das zum heuer begangenen Jubiläum zum 50jährigen Bestehen der Truppe entstanden ist. Die Choreografie von Leo Mujic verbindet klassische Elemente mit akrobatischen, zeitgenössischen Bewegungsmustern zur Musik von J.S. Bach. Es geht um steten Wechsel in der Welt um uns und so wird es auch von den fünf Paaren empfunden: Gruppen finden sich, verharren, lösen sich wieder auf, um in anderer Zusammensetzung wieder zueinander zu finden. Ein wunderbarer feinfühliger Pas de deux endet auch in Trennung als Option zur Offenheit für Neues.
Einen Pas de deux präsentierten auch die beiden Vertreter des Ungarischen Nationaltheaters: Alexandra Kozmer und Zoltán Oláh tanzten eine Kreation von David Dawson (Musik: Max Richter): elegisch-gefühlvoll steht die Suche nach dem anderen im Mittelpunkt, wobei auch die Frage im Raum steht, – und was, wenn man dem anderen spirituellen Alter Ego begegnet, aber ihn/sie nicht erkennt?
Originell die „Bolero“-Version des Slovakischen Nationaltheaters. Choreograf Mário Radacovsky inszeniert als Schachspiel und lässt lebensgroße Schachfiguren verschieben, hinter denen sich Tänzer verbergen, die Gegensätze tänzerisch darstellen wie die Beziehung Mann-Frau, Sieger-Verlierer und den Kontrast Schwarz-Weiß. War der Einstieg mit der Aufforderung nach einem Schachspielpartner aus dem Publikum noch witzig, so war der Auftritt der schwarzen Dame zu theatralisch.
Vom Ballett der Wiener Staatsoper und Volksoper wurde nach der Pause ein klassischer Beitrag beigesteuert: Maria Yakovleva und Denys Cherevychko tanzten einen Pas de deux aus „Don Quixote“: sie begeisterte durch absolute Souveränität und Präzision, er war nach langwieriger Verletzung bereits auf dem besten Weg zu seiner Hochform – die Sprünge gelangen wie ein „Teufel der Lüfte“.
Das Szeged Contemporary Ballet zeigte Ausschnitte aus „Unisono“ (L. van Beethoven). In dem drahtig-gymnastisch tänzerischen Stil des Choreografen Tamás Juronics füllen die einheitlich in lange Gehröcke mit Knieschützern gekleideten 11 Tänzer dynamisch die Bühne. Zum Abschluss eine unterhaltsame Reminiszenz an die 60er Jahre mit Hits der Rolling Stones in „Rooster“ (Choreografie: Christopher Bruce), getanzt von den Gastgebern, der Ballett Company Györ.
Mut zu Kontroversiellem
Am Samstagabend (26. Juni) dann ein gewagtes Programm: Yvette Bozsik stellt mit ihrer gleichnamigen Company „Souldance“ vor – ein gemeinsam erarbeitetes Projekt mit behinderten Menschen und Tänzern. Im gegenseitigen Respektieren und voneinander Lernen liegt die empfindungsreiche Wahrnehmung der Darsteller; sogar ein Blindenhund ist beteiligt. Das verständige Publikum zollt viel Beifall für die Interpreten, die mit großem Einsatz zum Teil sehr an ihre (körperlichen) Grenzen gehen.
Danach ein provozierendes (?) Werk von Pál Frenak: der Choreograf lässt seine fünf Tänzer mit „InTime“ auch Grenzen ausloten: Nacktheit um durch nichts von seinen Intentionen abzulenken: der Komplexität menschlicher Beziehungen zu-/untereinander. Im Nachtprogramm auf der kleinen Bühne dann ein witzig-amüsantes Werk: „Alibi“ ist ein Sprechstück mit Tanz oder ein Tanzstück mit Text.
Aspekte ungarischer Tanztradition
Am Sonntag (27. Juni) dann wieder ein Ensemble mit Jubiläum: ExperiDance feiert sein 10jähriges Bestehen mit „Happiness 69:09“ von Sándor Román. Mit ungarischen Hits aus dem Jahr 1969 wird eine (Liebes-)Geschichte dem Heute respektive dem Jahr 2009 gegenübergestellt. Dabei wird die eigene ungarische Geschichte aufgearbeitet und aktuelle wie damalige Klischees benützt, bis es natürlich ein Happy End gibt. Die Truppe ist bekannt dafür, Volkstanz mit Elementen aus verschiedenen anderen Tanzstilrichtungen in ihren Aufführungen mit Handlung zu einem publikumswirksamen Ganzen verknüpfen. Beeindruckend der Chef des Ensembles, der mit technischer Perfektion Volkstanz par excellence zelebriert. Den Zuschauern hat es gefallen; wegen des großen Interesses gab es sogar 2 Vorstellungen an einem Tag.
In der Nachtvorstellung dann ein besonderes Kleinod: die Hungarian Art of Movement Company zeigt Rekonstruktionen von Piecen aus dem Oeuvre von Sára Berczik (1906 – 1999). Die Tänzerin und Choreografin zählte im vergangenen Jahrhundert zu den bedeutendsten vier Vertreterinnen des ungarischen Ausdruckstanzes. Beeinflusst von der Laxenburg-Schule und Dalcroze eröffnete sie 1932 ihre eigene Schule und lehrte dort ihren Stil. Selbst ein Bombardement ihres Studios in Budapest 1944 beendete nicht ihre Unterrichtstätigkeit; jedoch musste sie auf staatliches Geheiß 1948 ihre Wirkungsstätte schließen, wurde sie als zu bourgeois und daher nicht staatskonform angesehen. Die fünf jungen Tänzer widmeten sich nun mit akribischer Genauigkeit der Umsetzung der Aufzeichnungen von damals und boten einen spannenden Einblick in die ungarische Tanzgeschichte. Aufgeführt wurden „Der Tod und das Mädchen“, „Five-Part Fuge“, „Concert Etude mit Schleier“ sowie „Eternal Circle“. Geometrische Formen, dynamisches Schwingen, Züge und getragenes Gehen charakterisieren den Bewegungsstil und erinnern an antikes Griechenland ebenso wie an Isadora Duncan oder Martha Graham. Klarheit in den Linien und eine fast naiv-unschuldige Ausdrucksform gepaart mit höchster Musikalität machten diesen Abend zu einem besonderen Erlebnis.
Auf Wiedersehen in 2 Jahren in Györ!
7.Ungarisches Tanzfestival, Györ, 23. bis 29. Juni 2010