Aufregend und dicht wie noch nie, wenn auch vorwiegend im vorigen – 20. – Jahrhundert verankert, pulsierte die Kunst beim heurigen Tanzfestival der Biennale von Venedig unter Ismael Ivo: Zum Thema „Capturing Motions“ kamen diesmal Kompanien vor allem aus Kanada und Australien nach Venedig.
Darunter auch die Compagnie Marie Chouinard, die mit ihrer demnächst auch bei „Impulstanz“ zu sehenden Produktion „Le nombre d’or“ eine triumphale Europa-Premiere feierte.Der Choreografin aus Montreal gelang im Teatro Toniolo von Mestre dieser „Goldene Schnitt“ beziehungsweise „The Golden Mean“, wie das in Vancouver uraufgeführte Werk in Wien heißen wird, brillant: Bei der so intensiven wie heiteren Erforschung des menschlichen Wesens auf der Suche nach Perfektion zeigt Chouinard in ihrer unverwechselbaren, unbeschwerten Tanzsprache zum raffinierten Sound von Louis Dufort, mit Live Kamera auf fünf Bildschirmen und in effektvoller Ausstattung (Guillaume Lord/Chouinard) von Humor getragene Szenen virtuoser Bewegungskunst. Mit starken Italien- und, wenn man will, auch Venedig-Akzenten: So gibt es (zumindest in Italien) unter anderem eine köstlich boshafte Berlusconi-Revue-Einlage und ähneln die Kostüme der zwölf Masken (manchmal auch Brillen) tragenden TänzerInnen goldenen Löwen…Letztere bestechen zunächst konfus, dann in immer deutlicheren Linien mit katzenhafter Anmut, Temperament und Sex Appeal: Am intensivsten, wenn klar wird, dass die Illusion des Goldenen Schnitts zur Erschaffung des Kunstwerks „Mensch“ ins Schwanken gerät, sobald sich Männlein und Weiblein zusammenfinden. Beim Sex hört sich die Künstlichkeit halt doch auf und legt die Natur mit tierischer Kampfeslust los. Die raffinierte Eleganz, die scheinbar impulsiv-natürliche Sinnlichkeit und ästhetische Intelligenz der vielen, wahrhaft goldenen (Tanz)Schnitte bis zum rührend-witzigen „Baby“-Finale verschaffen sehr viel Tanzvergnügen auf hohem Niveau.
Neoklassische Spitzenqualität boten davor im Teatro Malibran die Grands Ballets Canadiens de Montréal vor allem in Kylians „Bella Figura“ und „Six Dances“. Brillante, fernöstlich schimmernde Kraft zeigte Wen Wei (Vancouver) in „Unbound“ im Arsenal, wo auch die musikalisch wunderbare (Orchestra di Padova e del Veneto), mit tollem Lichtdesign verbrähmte, tänzerisch allerdings wenig innovative Festivaleröffnung stattfand. Ismael Ivo hatte für die Biennale-Tanzstudenten „Oxygen“ choreografiert – der Atem als Impulsgeber für - alles. Eine artige Abfolge von Szenen, fast wie bei einer Schüleraufführung, in der vor allem das (meist) solide klassische Balletttraining der ambitionierten 19 bis 30-jährigen Tänzer vorgeführt wurde. Wohl zu wenig für eine dem zeitgenössischen Tanz verpflichtete Institution wie das „Arsenale della danza“, so der Name des Biennale-Tanz-Stipendienprogramms.
Bis 12. Juni tanzte heuer die Biennale, nach Kanada (José Navas, Daniel Leveillé, Kidd Pivot Frankfurt RM und nochmals Chouinard, mit „Gloire Di Matin“), Australien (Chunky Move, Sydney Dance Company, Splintergroup, Ros Warby) und Neuseeland (MAU) kam zum Schluss auch Italien an die Reihe (Adriana Boriello/Almatanz, Cristina Caprioli, Virgilio Sieni). Schließlich gab’s „Another Evening: Venice“ von Bill T.Jones /Arnie Zane. Und zwei „Löwen“: den „Goldenen“ erhielt William Forsythe, den (erstmals vergebenen) „Silbernen“ Anne Teresa De Keersmaeker.
7. Festival Internazionale di Danza Contemporanea der Biennale di Venzia, 29. Mai bis 12. Juni 2010
Stipendienprogramm Arsenale de la Danza "Oxygen" Ch: Ismale Ivo, 26. Mai 2010, Teatro alle Tese
Marie Chouinard: "Le nombre d'or", 28. Mai 2010, Teatro Toniolo
Les Grands Ballets Canadiens de Montréal, 27. Mai 2010, Teatro Malibran