Die Schauspielerin und Regisseurin Evelyn Fuchs hat eine besondere Beziehung zu Heinrich von Kleist, war sie doch von 1979–1985 am gleichnamigen Theater in Frankfurt / Oder engagiert. so ist es vielleicht zu verstehen, dass sie sich mit einer Gruppe von acht DarstellerInnen an Kleists schwieriges Drama „Penthesilea“ gewagt hat. Ein Versdrama, das von großen Häusern oft nicht bewältigt wird.
Im ästhetischen Bühnenbild von Andreas Hutter – schwarze und weiße Rosen bedecken in strengen Linien wie Wege den Boden der sonst kahlen Bühne – agieren die DarstellerInnen in einer seltsam unruhigen Choreografie (Susanne Chambalu), zirkeln ihre Schritte ab oder wandelnd träumerisch in Zeitlupe den Rosenweg entlang, türmen sich zu Skulpturen, halten jene beide zurück, die die Ordnung stören wollen. Das sind der griechische Kämpfer Achill (Sven Kaschte) und die Königin der Amazonen Penthesilea (Monika Pallua).
Amazonen verlieben sich nicht, ein ehernes Gesetz schließt Männer von ihrem Leben aus. Doch auch Amazonen wollen nicht aussterben, deshalb wird das Rosenfest gefeiert. Da sollen die kämpferischen Frauen sich auf dem Schlachtfeld einen Mann unterwerfen, um ihn zum Samenspender zu machen. Penthesilea aber verstößt gegen dieses Gesetz, begehrt Achill mit Leib und Seele, will ihn ganz haben, will dass er bei ihr bleibt, mit ihr lebt. Das passt den anderen Amazonen, vor allem der Oberpriesterin nicht. Immer wieder wird mit Gerangel unter den Vieren plastisch gemacht, dass da eine ausbrechen will. Auch den Griechen passt die Gegenliebe ihres Helden keineswegs. Auch sie zeigen Ausbruchsversuch und Zurückhaltung als rhythmischer Tanz.
Ohne Worte, mit der sparsam eingesetzten wie im Kino unvermittelt Spannung erzeugenden Tonkulisse von Wolfgang Reisinger hätte das Konzept sogar funktionieren können. Doch Kleist hat eine Wortflut hinterlassen, setzt Griechen und Amazonen wie im griechischen Drama als kommentierenden und berichtenden Chor ein (von Fuchs auf die SolistInnen reduziert) und erzeugt so Schrecken und Entsetzen. Doch die DarstellerInnen kommen mit der außergewöhnlichen Sprache nicht zurecht, können das Versmaß nicht in verständlichen Text auflösen und schwanken zwischen kaum hörbarem Flüstern und unvermutetem Gebrüll.
Wie seine Kumpane ist Achill ein primitiver Mann, eher Bauarbeiter als strahlender Held. Dass er der fremden Königin verfallen ist, kann Sven Kaschte nicht zeigen. Monika Pallua will, scheint es, gar nicht Penthesilea sein, eine stolze, eigenständige Herrscherin, die ihre Gefühle über das Gesetz stellt. Stattdessen schwankt sie zwischen Käthchen (von Heilbronn) und Ophelia (von Shakespeare). Hutter hat den Amazonen wüste, stachelige Frisuren verpasst und sie mit genietetem Schmuck als Mischung aus Domina und Hexe auf die Bühne gestellt. Penthesilea ist anders: sie trägt ihr rotes Haar hoch getürmt. Doch dass sich die Männer vor diesen Frauen fürchten, ist klar. Weniger klar ist, warum Achill nach der Liebesnacht von Penthesilea unter den schwarzweißen Rosenhügel begraben wird.
Das muss Kleist im Original erklären (oder Sigmund Freud, wenn er zur Hand wäre).
Also: Achill hat auf dem Schlachtfeld des Krieges gesiegt, auf dem der Liebe verloren, er unterwirft sich Penthesilea. Wie soll sie das ertragen? Und was bleibt, wenn das Begehren gestillt ist? Für Penthesilea das grauenhafte Nichts, sie tötet Achill, zerreißt ihn, wie der Chor berichtet und gibt sich schließlich selbst den Tod. Der Zwiespalt und das Unbehagen in den Figuren, die Feindschaft zwischen Amazonen und Griechen und aller untereinander steigert sich bei Kleist in ansteigender Kurve zu grauenvollem Entsetzen, zum Ende in unerträglichem Schrecken.
„Traum ohne Flügel“ nennt Regisseurin Fuchs die von ihr bearbeitete Fassung im Untertitel und bietet damit gleich eine Entschuldigung an: Flügel hat diese Aufführung im Kosmos Theater tatsächlich keine.
Penthesilea – Traum ohne Flügel, Kosmos Theater, 9. Juni 2010.
Weitere Aufführungen bis 26. Juni, Mittwoch–Samstag, 20.30 Uhr