Im Februar beeindruckte Bernd Bienert mit „Signings“ (aus der choreografischen Serie „SCHRIFTzeichnen“) bereits im Wiener Odeon. Nun hat der Choreograf das bemerkenswerte Stück gestrafft, musste auf Grund der Zeit- Lebensläufe auch die Anzahl der Mitwirkenden reduzieren und hat dennoch gewonnen. Noch deutlicher, noch eingängiger und fließender zeigen die Mitwirkenden wovon Bienert erzählt, der Geburt des Tanzes aus der Gebärde.
Ob das wirklich so war, in grauer Vorzeit, müssen die Sprachforscher, Kultur- und Sozialwissenschaftlerinnen sagen. Für die TänzerInnen und auch das Publikum ist Bienerts These die Grundlage einer kompakten überaus schönen, verständlichen, auch witzigen und animierenden Tanzvorführung. Die Gebärdensprache ist konkret, dient der Kommunikation und der Mitteilung. Auch Tanz ist Kommunikation, doch er darf abstrakt sein, nur sich selbst gehören und kann innere Vorgänge sichtbar machen. Verkürzt könnte ich sagen: Gebärdensprache kommt aus dem und wendet sich an das Gehirn; Tanz kommt aus dem und wendet sich an das Gefühl. Noch ein Unterschied gefällig: Gebärdensprache wird vor allem mit den Händen und Armen aufgeführt, Mund und Augen, Stirn und Wangen (Mimik) gehören dazu. Tanz wird mit dem ganzen Körper ausgeführt, die Mimik (meist nicht wirklich gut sichtbar im Zuschauerraum) ist Teil davon.
Die Voraussetzungen sind also klar, dennoch ist völlig überraschend was Bienert im Lauf des Prozesses, den „Signings“ seit den ersten Proben Anfang dieses Jahres durchlaufen, daraus gemacht hat. Drei Tänzerinnen (Yukina Hasebe, Sandra Zelechowski, Kira von Zierotin), der Tänzer Boris Nebyla und die Gebärdensprachdarstellerin Nadia Kichler führen das Publikum mit Esprit und Einfühlungsvermögen entlang des Weges von der Sprache zur Bewegung, vom Text zum Tanz. Doch bald zerfließen die Grenzen, Gebärdensprache kann durchaus Tanz sein, Tanz kann durchaus eine Mitteilung enthalten. Im Kopieren, Variieren der von Kichler “gesprochenen“ Wörter und „erzählten“ Geschichten verwandelt sich die Sprache in Tanz und die bewusst gesetzten, elegant ausgeführten Gebärden verschmelzen wieder damit, in stetiger Wechselwirkung.
Wer die Gebärdensprache versteht, hat ein doppeltes Erlebnis. Verstehen der Wörter und Sätze und erkennen, was die drei Tanzenden daraus machen. Wer der Sprache nicht mächtig ist, genießt und fühlt und freut sich über die von Yukina Hasebe so fein und verständlich gesprochenen und tänzerisch akzentuierten Worte, die Bienerts Choreografen Konzept erläutern.
Begriffen hätte man das auch ohne die Schlussworte, denn am Anfang wird von Nebyla, Hasebe und Zelechowski das Lexikon aufgeblättert. Wie im Puppentheater erscheinen (und verschwinden) ihre Oberkörper und die sprechenden Arme und Hände im Hintergrund der Bühne, um in der unbekannten, aber schön anzusehenden Sprache zu erklären, worum es geht. Um eine neue Dimension des Verständnisse, um den Beweis auch, dass der Tanz den Kopf ebenso benötigt wie den Körper.
Bernd Bienert: Signings, Österreich TANZT im Festspielhaus St. Pölten, 29. Mai, 2010.