Der laute wirbelnde Rhythmus des Ndombolo, der kongolesischen Pop- und Rockmusik, bildet die Basis für Faustin Linyekulas rasante, grelle Show für drei Tänzer, drei Musiker und zwei Sänger, in der es nicht nur um Unterhaltung geht, sondern auch um ein politisches Statement. „More more more… future“ ist ein bunter und wütender Protest gegen die Lethargie und Tatenlosigkeit der No-future-Generation im Kongo.
Wir wissen nicht viel vom Kongo und Afrika, das ist doch Lebensfreude und Rhythmus, Tanz im Blut und ein naives Lächeln im Gesicht? Der Tänzer, Choreograf und Regisseur aus Kisangani, Faustin Liyenkula weiß es besser. Acht Jahre hat er im Exil gelebt, dann ist er in seine durch Bürgerkriege verwüstete Heimat zurückgekehrt, um aufzurütteln und an einer besseren Zukunft zu arbeiten. In seiner Heimatstadt hat er die Studios Kabako gegründet, ein kulturelles Zentrum, in dem sich (nicht nur) Künstler aller Sparten treffen, um miteinander zu arbeiten. Als aktuelles Stück hat er gemeinsam mit dem Gitarristen Flamme Kapaya, einem Pop-Star im Kongo, die Show „More more more … future“ erarbeitet, in der er seine Kritik an den Zuständen in seiner Heimat hörbar macht. Um sein Anliegen deutlich zu unterstreichen, hat Liyenkula seinen Freund Antoine Vumulia Muhindo gebeten, Lieder und Gedichte zu schreiben, die vom Rapper Pasnas (Patient Mafutala) vorgetragen werden. Muhindo sitzt seit neun Jahren in der Todeszelle von Kinshasa. Als Berater des ermordeten Präsidenten Laurent Kabile, wurde er als Verschwörer und Mörder angeklagt. Er drückt das aus, was Linyekula tanzend sagt: „Wenn man nicht weiß, was morgen ist, ist jede Zukunft möglich“.
Um diese mögliche Zukunft, um das Recht auf eine Zukunft, kämpft das Team der Studios Kabako / Kisangani mit Musik, Tanz und Text in einem schrillen, schillernden Spektakel, das auf der Gefühlsskala des Publikums in sämtlichen Tonarten spielt. Nicht nur lauten, sondern auch sanften im gedämpften Licht. Zuerst muss die Wut heraus gelassen werden, dann darf die Hoffnung keimen.
Liyenkula hat lang genug in Europa gelebt, um zu wissen, wie eine Inszenierung funktioniert und wie er sein Publikum zu verzaubert. Als er 2006 mit seiner Kreation „iii.dinozord“ (einem Stück der „Dialogue Series“) im Rahmen des „New Crowned Hope“-Festival zum Mozartjahr im Museumsquartier gastierte, war noch deutliche Ratlosigkeit im Zuschauerraum zu spüren. Inzwischen kann Liyenkula mit einer, wenn auch fremdartigen, Dramaturgie aufwarten und seine Anspielungen und ironischen Aperçus besser über die Rampe bringen, sodass Satire und reale Kritik deutlicher unterschieden sind. Sein Credo macht seine Absicht deutlich: „Ich bin Afrikaner und ich mache Theater. Das heißt aber nicht, dass ich afrikanisches Theater mache.“ Wie denn auch, wenn er vor zwei Jahren an der hochheiligen Comédie Française Jean Racine inszeniert hat.
Das Thema des aktuellen Stückes, mit dem er durch die ganze Welt tourt, auch um Geld für sein Studio zu erhalten, allerdings ist afrikanisch. Und Liyenkula weiß auch damit zu spielen. In grotesken, voluminösen, mit allerhand Fundstücken vom Misthaufen garnierten Kostümen, beginnen die Tänzer, exotischen Vögeln gleich, die Erwartungen an afrikanischen Tanz zu erfüllen. Wenn die Zuseherinnen vom farbenprächtigen Afro-Tanz und den heißen Rhythmen der in Glitzergewändern mit vollem Einsatz arbeitenden Musiker (zwei E-Gitarren und Schlagzeug) eingelullt sind, schlüpfen die Tänzer aus ihren bunten Hüllen, sind drei muskulöse Männer, die miteinander kämpfen, Stirn an Stirn wie die Böcke, sich aneinander reiben und im Rumbarhythmus des Soukous (aus dem der Ndombolo entstanden ist) lasziv die Hüften schwingen.
Liyenkula arbeitet auf mehreren Ebenen. Einerseits hält er den EuropäerInnen ironisch einen Spiegel vor, in dem sie meinen Afrika zu erkennen; andererseits aber greift er bewusst auf Tradition und kulturelles Erbe zurück, indem er die Dorfversammlung und Stammesgesänge neben den Punk-Rock setzt. Allen Szenen ist die ungeheure Energie gemeinsam, die von der Bühne strahlt. Auch sind die Rollen nicht fein säuberlich geteilt, die Musiker singen, die Sänger tanzen und die Tänzer attackieren die Musiker, springen ihnen ins Genick, als wollten sie sie anfeuern. Die kleine Bühne des brut am Karlsplatz scheint zu platzen, von all der vibrierenden Leidenschaft und Kraft, die die Künstler erfüllen und beflügeln.
So absurd wie der Alltag im Kongo sein mag, so verwirrend erschiene auch die Szenenfolge, wären da nicht die klaren, schnörkellosen Texte Muhindos als Wegweiser zu hören, der immer wieder erinnert, dass es nicht nur um einen unterhaltenden Abend geht, sondern um das Überleben eines Volkes. Die nimmermüde Ausdruckskraft des Ensembles taucht das Publikum durch die stets wechselnden Stimmungen, von himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, von wütend, anklagend und zuversichtlich hoffend, in ein Wechselbad, das erst zur Ruhe kommt, wenn die Musiker, Tänzer und Sänger mit dem Rücken zum Zuschauerraum auf dem Boden sitzen und die (uns unbekannten) Porträts betrachten, die schemenhaft vor blauem Himmel und ziehenden weißen Wolken auftauchen. Sie träumen einen Traum. Man wünscht, dass er nicht unmöglich sei.