So recht will man es nicht glauben, dass in Miki Malörs neuer Arbeit tatsächlich Maden mitwirken. Doch im Ankündigungstext ist von „60.000 Mitwirkenden“ die Rede, und noch vor Beginn der Vorstellung sind die Fliegenlarven Realität. Man darf zwei in schwarze Overalls und japanische Zehensocken gekleidete Damen mit Sonnenbrillen dabei beobachten, wie sie emsig –ja, quicklebendige Maden - aus drei großen Behältnissen in mehrere Gefäße umfüllen.
Zur besseren Eindringlichkeit sind außerdem Großaufnahmen von Maden auf Videomonitoren zu sehen. Kein Zweifel mehr, es sind ganz schön viele Lebewesen im kleinen Raum D des Quartier 21. Und dann erscheint Miki Malör, im rotsamtenen Königinnenkleid und Filzlatschen. Die Assistentinnen helfen ihr, barfuß in eine niedrige, viereckige Wanne zu steigen und sich auf ein japanisches Sitzkissen zu knien. Vor ihr steht eine umgelegte Vase am Boden, gefüllt mit krabbelnden Maden. Was als Knauel beginnt, entwirrt sich rasch und alle Maden ziehen davon, die meisten in eine Richtung – zu Malör. Wenige scheren aus und gehen eigene Wege.
Eine Assistentin platziert eine Karotte in einer Glasschale, vielleicht soll diese Maden anlocken, doch es interessiert sich keine dafür. Malör, eine stoische Erscheinung, ist offenbar attraktiver für Madenschwärme. Dann gibt ihr die Assistentin ein Ringetui in die Hand – was tropft heraus? Natürlich Maden. In die andere Hand nimmt sich Malör selbst ein ein Häufchen, ruhig, gelassen, während die Zuschauer interessante Gesichtsausdrücke zeigen, von amüsiert über angeekelt bis fasziniert.
Die Assistentinnen stellen noch mehr befüllte Gläser in die Wanne; weitere Maden platzieren sie mit der Verve geschickter Kellner, die einen Fisch am Speisetisch filettieren, in kleine Schälchen, würzen sie mit Salz und rühren ein bißchen darin um. Ein roter Damenstöckelschuh wird gleichfalls mit Maden versehen. Derweilen nimmt sich Malör ein paar Häufchen freiwuselnde Exemplare und schüttet sie über ihr Handgelenk, in ihren Kragen.
Dabei bleibt sie immer cool, wenn sie auch gelegentliche Kitzelreize sichtbar unterdrücken muß, denn es ist Kunst angesagt, nicht Spaß. In der Zwischenzeit krabbeln und purzeln die rosa Tierchen an Malör entlang und von ihr hinunter, verwesende Frau im roten Kleid? Vom Band kommen knisternde Geräusche, Gesprächsfetzen von Personen, die sich über Maden unterhalten.
Malör greift zum Füllhorn und übergießt sich mit Maden. Das Publikum hat sichtlich sympathische Reaktionen, man fühlt mit und kratzt sich.
Die Performerin beugt sich zum Wannenboden und breitet ihre üppige Haarpracht sternförmig über eine Madentraube. Dann erhebt sie sich und steht mit ausgebreiteten Armen da. Es perlen die Larven so dahin, die Assistentinnen öffnen das Wickelkleid, auch innen natürlich längst unzählige Schwarmwesen. Man assistiert der Diva, die sich des Kleides, des Unterkleides, des BHs und eines Slips (einen weiteren behält sie an) entledigt, und damit auch jeder Menge Maden. Das Haar der Künstlerin steckt man in eine Plastikhaube; zuviele Tierchen sind darin gefangen. Wie sie diese nach der Performance wohl hinausbekommt?
Malör zieht sich ein schwarzes Hängekleidchen über und schreitet in ihren Filzlatschen davon. Ende der Vorstellung. Die Gehilfinnen gehen noch wie Stewardessen umher und bieten dem Publikum kleine Schälchen voller Maden an. Erstaunlicherweise greifen viele zu und berühren die madigen Aktivisten, sogar beeindruckte zwölfjährige Schülerinnen, die sich vor dieser Performance niemals an solche haptischen Versuche gewagt hätten.
Was das soll? „Der Körper als Schnittstelle zum Tier, über das es nichts auszusagen gibt“, erläutert Miki Malör im Pressetext. Aber ja, und darüber hinaus: sinnlich, provokant, frech, klug, diszipliniert, schräg. Miki Malör eben. Anders als Elke Kriystufek performt sie ihre Ideenstränge weniger selbstreferentiell und öffnet derart große Phantasieräume für ihr Publikum. Eine wohltuende Konstante (seit vielen Jahren) im Wiener Theaterleben.
Im RTL-Dschungelcamp würde sie jede Ekel-Prüfung mit souveräner Eleganz bestehen: Miki Malör lehrt ihr Publikum in der Performance „Schwarmwesen. Die Liebe der Maden“, den persönlichen Ekel hintanzuschieben und die Schönheit ins Auge des Betrachters zu lassen. Schön.
Miki Malör, "Die Liebe der Maden. Reinigung. Häutung. Dialog.", MQ Wien, Raum D, quartier 21, 20. Mai 2010