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Falter iconDie Aufdeckung der Missstände an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper durch Falter-Chefredakteur Florian Klenk hat hohe Wellen geschlagen und ein internationales Medienfeuer entfacht (siehe Links). Die Vorwürfe die massiv im Raum stehen sind sadistische Unterrichtsmethoden, sexuelle Übergriffe, psychischer Druck, körperliche Schäden und Essstörungen.

Die Testimonials von SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen weisen darauf hin, dass an der Schule schon lange etwas faul ist. In der Wiener Ballettwelt kursierten immer wieder Gerüchte von übergriffigen Lehrpersonen, willkürlichen Prüfungsentscheidungen und traumatisierten Ballettkindern. Beschwerden blieben aber bis Anfang dieses Jahres ohne Folgen. Nun ist die Opern- und Ballettakademie-Direktion um Relativierung bemüht.

Vielleicht hätten sie zu spät reagiert, sagen Staatsoperndirektor Dominique Meyer und die geschäftsführende Direktorin der Ballettakademie Simona Noja unisono. Aber hat man es nicht vielmehr bewusst vorgezogen, eine Vogel-Strauß-Politik zu spielen? Oder einfach von moderner Pädagogik keine Ahnung? (Interessanterweise hat sich der künstlerische Leiter der Ballettakademie Manuel Legris, der auch Ballettchef des Wiener Staatsballetts ist, bis dato noch gar nicht geäußert.)

Jedenfalls klingt die Aussage von Staatsoperndirektor Dominique Meyer bezüglich der Lehrerin Bella R., die den meisten Vorwürfen ausgesetzt ist, ziemlich sonderbar: „Man hat immer gehofft, weil sie eine gute Pädagogin ist, dass sie ihr Benehmen verbessert.“ (ZDF) Auch die geschäftsführende Direktorin der Ballettakademie spricht von ihren „guten Ergebnissen“.

Hallo? „Eine gute Pädagogin“ mit „guten Ergebnissen“, die ihre SchülerInnen tritt, an den Haaren reißt und ständig demütigt?

Eine patriarchalisch-hierarchische Institution wie das klassische Ballett ist für Mobbing, Ausbeutung und Erniedrigung sehr anfällig. Dass diese Art von „Pädagogik“ allerdings heute ein No Go ist, ist offenbar bis zur Wiener Ballettakademie noch nicht durchgedrungen. Wobei sie wahrscheinlich auch kein Einzelfall ist. Immer wieder erleben wir die glatte Leugnung, dass es in diesem Beruf ein Problem mit Essstörungen gibt, die zum Beispiel auch in dem Film "Black Swan" thematisiert wurden. Auch damals reagierte die Ballettwelt mit Empörung. Schlechte Gewohnheiten sterben langsam, doch immer wieder die Augen davor zu verschließen und den Schleier des Schweigens darüber zu breiten, hilft der Branche sicher nicht.

„Ich glaube, dass in Wien hier ehemalige sowjetische Trainingsmethoden, die man auch aus dem Leistungssport kennt und sozusagen eine zaristische Pädagogik auf eine Wiener Gesellschaft trifft, die nicht so genau hinschauen wollte“, meint Florian Klenk zu den Verhältnissen an der Wiener Ballettakademie.

Zum Glück für die künftigen Generationen an BalletttänzerInnen kommen diese Zustände endlich ans Tageslicht. Dank engagierter LehrerInnen, couragierter ehemaliger SchülerInnen, deren Eltern und der professionellen Aufarbeitung im Falter werden die vorgestrigen Methoden nun in der Öffentlichkeit diskutiert und führen hoffentlich zu einem neuem Bewusstsein.

Die Staatsoperndirektion gibt nun zumindest zu, dass die Schule reformiert gehört. In einer Stellungnahme wird ein Maßnahmenkatalog vorgestellt, der unter anderem lernpsychologische und andere Weiterbildungen für die Lehrenden, psychologische Betreuung der SchülerInnen oder die Schaffung einer Ombudsstelle vorsieht.

Doch eine Änderungsliste wird wohl nicht reichen. Denn wenn derartige Zustände über mehr als zehn Jahre vertuscht werden können, handelt es sich mit Sicherheit um einen Systemfehler.

Die dokumentierten Aussagen offenbaren ein Komplettversagen der internen Kommunikation, fehlenden Respekt sowie mangelnde Empfindsamkeit gegenüber Heranwachsenden und eine eklatante Fehleinschätzung der Situation seitens der Verantwortlichen. Kritik wurde mit Einschüchterung und Verharmlosung erwidert. Studierende, die sich beschwerten als „schwer erziehbare Kinder“ bezeichnet.

Bei allem Reformwillen, eines muss den Verantwortlichen auch klar werden: hier müssen nicht nur pädagogische Konzepte verändert werden. Was es braucht sind qualifizierte PädagogInnen, eine bessere finanzielle Ausstattung und eventuell sogar eine völlige organisatorische Neuaufstellung,

Wenn also Staatsoperndirektor Meyer die Leiterin der Ballettakademie Simona Noja an der Spitze der Institution belässt um Reformen umzusetzen, macht er den Bock zum Gärtner. Schließlich ist sie für die Zustände in ihrer Schule sehr wohl (mit)verantwortlich.

Wenn man es mit einer Reform ernst meint, müsste man einen Leiter / eine Leiterin bestellen, der/die einen modernen pädagogischen Geist in diese alt-ehrwürdige Institution bringt. Im Mittelpunkt hat der Schüler/die Schülerin und die Entwicklung der Persönlichkeit zu stehen. Aufgestülpte Körpermodelle müssten schleunigst entsorgt werden. Denn wenn das Ballett seinen Platz in der Gesellschaft von heute behaupten will, dann gehören dazu unterschiedliche Körpertypen, Größen und Farben.

Dass die Eleven und Elevinnen körperliche und mentale Hochleistungen erbringen, dass Ballett harte, konsequente Arbeit ist, steht außer Frage. Wenn man aber in in Österreichs größter, wichtigster und renommiertester Ballettausbildungsstätte den Unterschied zwischen Disziplin und Disziplinierung nicht versteht, dann handelt man wider die wunderbare Kunst, die das Ballett zu allererst ist.

Bisher erschienene Berichte (Auszug)

Der Auslöser: Der Falter-Bericht vom 9. April 2019

Falterradio

Orf.at

Der Standard

Die Presse

Kurier

ZDF

The Guardian

Spiegel Online

The New York Times

Ballettakademie der Wiener Staatsoper

Ergänzung vom 12. April 2019:

In den Kritiken zu Aufführungen der Ballettakademie habe ich auf tanz.at immer wieder auf die Retro-Ästhetik der Choreografien hingewiesen, die sehr oft von der Lehrerin stammten gegen die sich viele der Vorwürfe richten: 

Ballettschule der Wiener Staatsoper 2013

Abschlussmatinee der Ballettakademie, Juni 2014

Matinee der Opernschule und der Ballettschule der Wiener Staatsoper, Dezember 2014

Von der Tanzlust und dem Drill, 2015