Jérôme Bel, einstiges Enfant terrible der französischen Tanzszene, hat mit seinen inklusiven Performances ein attraktives Format gefunden, bei dem Publikum und Performer sich zu einer eingeschworenen Einheit verbünden. In „Gala“ greift der Choreograf auf den altfranzösischen Begriff für „Vergnügen“ zurück, und macht den Auftritt seiner Performer zu einem zwanglos fröhlichen Fest des Scheiterns.
Theater, das ist eine Bühne und ein Zuschauerraum. Es mag sich im prunkvollen Rahmen eines Opernhauses oder im Studio befinden, die Form eines Amphi-, eines Nô- oder eines Puppentheaters haben. Die Bühne mag grandios ins Meer ragen oder ein armseliger Flecken Wiese sein, um den ein paar Stühle aufgestellt wind. Die anfängliche Diashow lädt zu einem Rundgang durch die (leeren) Theater dieser Welt. Damit ist der Rahmen gesetzt.
Der erste Auftritt der zwanzig Performer, die für die hiesige Aufführung ausgewählt wurden, trägt den Titel „Ballett“. Die Aufgabe: eine Pirouette nach rechts und links drehen. Die Kompanie könnte aber unterschiedlicher nicht sein. Jérôme Bel hat die Mitglieder seine Wiener Compagnie nach Diversität in Erscheinungsbild, Alter und tänzerischer Vorbildung gecastet: hat Profis, die bei dieser Übung schnell enttarnt sind, und Laien, die durch kreative Lösungen das Defizit ausgleichen, gemixt. Es folgt das Thema Walzer. Ebenso informell wie so mancher Tänzer auf dem Parkett agiert die Musikregie. Wenn der letzte der Gruppe die Übung absolviert hat, wird der Sound einfach abgewürgt. Nach einer dreiminütigen Improvisation in Stille wird Michael Jacksons Moonwalk zum ersten Höhepunkt des Abends. Danach: Verbeugung – jeder macht den Diener nach seiner Vorliebe und holt sich den Applaus ab. – Und schon ist sie passiert, die Verbrüderung von Ausführenden und Zusehenden. (Die Reaktion kennt man freilich schon von Bels „The Show must go on“. Dennoch wird man auch diesmal unwillkürlich mitgerissen.)
Der zweite Teil wird zum großen, gemeinsamen Fest. Einer tanzt ein Solo und der Rest der Gruppe versucht zu folgen: etwa einem afrikanischen Tanz, einer chilenischen Cueca oder dem virtuosen Stabtanz einer Kunstturnerin. Oder wenn Vera Rabl sich aus dem Rollstuhl auf den Boden schmeißt und eine wilde Nummer abzieht, Christian Polster seine Version von Locking vorführt, oder ein Kind in seinem ganz persönlichen Gangnam-Style über die Bühne tobt. Die Liebeserklärung „New York, New York“ wird zur Hommage an Wien umgedichtet – Vorhang.
Bel stellt also jene ins Zentrum, die sonst an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, und gibt ihnen das Heft in die Hand. Mutig versuchen die Anderen mit den lustvollen Bewegungsvorgaben des jeweiligen Solisten Schritt zu halten, doch zwangsläufig liegt das Handicap bei ihnen. Eine geniale Umkehr, bei der es nur Gewinner gibt. Die Gruppe ist zum kollektiven Scheitern verurteilt, nach Becketts Motto: „Try again. Fail again. Fail better.“ Das ist komisch und vergnüglich anzusehen. Doch das Publikum reagiert empathisch. Die Schadenfreude bleibt aus, weil die Zuseher sich in diesen Darstellern selbst erkennen. Am Ende: begeisterter Jubel! What else?
Jérôme Bels „Gala“. Premiere der Wien-Version am 12. Jänner 2016 im Tanzquartier Wien. Weitere Aufführungen bis 15. Jänner.
Wiederaufnahme am 25., 27. und 29. Oktober 2016 im Tanzquartier Wien.