Die Pandemie. Wohl kaum jemanden hat sie härter getroffen als darstellende Künstler*innen, die einfach nicht spielen durften. Also scheint es bei José Montalvo, den man für seine lebensbejahenden, humanistischen Produktionen schätzen und lieben gelernt hat, selbstverständlich, dass er in seinem jüngsten Werk seine Tänzer*innen in den Mittelpunkt stellt.
Ob als Kind, in der Schule oder bei der Audition, irgendetwas hat nicht gepasst: der Busen war zu groß, oder es war zuwenig davon da, sie waren zu dick, zu dünn, zu groß, zu klein, sahen nur auf einem Auge, oder es wurde ihnen beschieden, dass sie sich mit dem Tanz einem brotlosen Beruf verschreiben würden. Alle Stigmata, die man den bunten Montalvo-Tänzer*innen umhängen wollte, haben sich mittlerweile als grobe Fehleinschätzungen herausgestellt. Hier sind sie, Mitglieder einer der spannendsten Compagnien zeitgenössischer Tanzkunst, Spiegelbild einer Gesellschaft, in der althergebrachte Körperklischees keine Bedeutung, stilistische Zuordnungen außer Kraft und Virtuosität das lustvolle Resultat leidenschaftlicher Künstler*innen sind. Und so kommt es, dass sie ihre angeblichen Defizite nun mit Stolz verkünden und sie künstlerisch verpacken, zum Beispiel in einen wunderbaren Tanz der Busen. „Gloria“ steht für diese großartige Tänzer*innenschaft, die ihre Kränkungen offensiv in ein rauschendes Fest und eine vergnügliche Hommage an ihre Kunst verwandeln.
Keine Frage, selten hat man so flinke Beine, so kühne Break Moves, so vollendete Zapateados und so elegante Spitzentänzer*innen zusammen auf der Bühne gesehen, das alles zu einem ebenso bunten Musikmix von traditionellen Tunes über Vivaldi, Michael Nyman zu Trommel- und Klavierbegleitung der Performer*innen.
Die Videoprojektionen fangen meist die Gruppe ein, die den solistischen Gustostückerln ihrer Kolleg*innen zusehen. Sie stehen in einem Papierboot, das Aufschriften wie „Die Freude ist tiefer als die Traurigkeit“, „Es ist eh schon alles im Arsch, seien wir fröhlich“ oder „Versichern wir uns, dass alles schlecht geht“ trägt. Später wird es zu einer Arche Noah, denn nicht nur erzählen die Tänzer*innen über ihre Kränkungen, sondern auch über ihre Sorgen, zum Beispiel über den Zustand unseres Planeten. Dieser erscheint in eindrucksvollen Bildern auf der Leinwand.
Der Weltuntergang mag nicht fern sein, ist aber auch der Anlass für komödiantisch tierische Bewegungsmotive. Oder die Erkenntnis, dass wir uns wohl alle als Nabel der Welt fühlen. Der Song „Le Nombril“, gesungen von Jeanne Moreau, begleitet das Finale, in dem die Tänzer*innen noch einmal das Tanzfest hochfahren.
Die Pandemie hat auch dieses Gastspiel beinahe vereitelt. Zwei positiv getestete Täzer*innen mussten in Quarantäne und Montalvo hat das Stück schnell umgebaut, um dem Wunsch der scheidenen Intendatin des Festspielhaus St. Pölten, Brigitte Fürle, zu entsprechen. Es sei die letzte Möglichkeit, ihn hier zu sehen, sagte sie. Hoffentlich nicht!
Denn Montalvo und seinem hinreißenden Team ist die Psychohygiene, die wir jetzt alle nötig haben, perfekt gelungen, nicht nur für sich, sondern vor allem auch für das Publikum, das als Zugabe gleich einmal mitsingen und tanzen durfte. Riesenstimmung im Festspielhaus St. Pölten!
José Montalvo: „Gloria“ am 28. Jänner im Festspielhaus St. Pölten