Durch die Kooperation mit dem Sadler’s Wells Theatre kommen Europas Top-Choreografen nun regelmäßig ins Festspielhaus St. Pölten. Russell Maliphant ist einer von ihnen. Sein Stück „AfterLight“ ist eine poetische Hommage an Vaslav Nijinski.
Nicht immer ist der Tänzer in seinen Drehbewegungen zu sehen, wenn er in die Schatten taucht. Zu den sanften Klängen der „Gnossiennes“ von Satie kommt der Körper in diesem obskuren Ambiente nur schemenhaft ans Licht. Und dennoch gelingt es dem charismatischen Daniel Proietto die Aufmerksamkeit mit seinen, sich spiralig entwickelnden Bewegungen zu bannen, deren Drehmoment durch die Lichtregie von Michael Hulls verstärkt wird. Hulls Aufgabe ist nicht Beleuchtung. Vielmehr wirkt er mit seinem Design als Ko-Choreograf, als künstlerischer Partner von Russell Maliphant, der „die Bewegung vor allem als Mediator zwischen Musik und Licht“ begreift.
Das Solo „AfterLight Part One“ war im Rahmen eines gemischten Sadler’s Wells Programms im Herbst 2010 bereits im Festspielhaus St. Pölten zu sehen und entstand als Auftragswerk im Rahmen des Programms „Spirit of Diaghilev“ im Sandler’s Wells Theatre zum 100. Geburtstag der Ballets Russes. Erst danach erweiterte Maliphant das Solo um zwei weitere Teile, zwei Tänzerinnen und Kompositionen von Andy Cowton zu „AfterLight“. Seine Inspirationsquelle waren Fotos und Zeichnungen von Vaslav Nijinsky, deren Geist im Verlauf des Stückes deutlich hervortritt.
Der zweite Teil ist eine Neu-Interpretation von „L’après-midi d’un faune“. In einem mystisch Wald treffen die zwei Nymphen (Silvian Cortés und Olga Cobos) auf den Faun (Proietto) und Cowtons Klaviermusik erinnert an Debussys Originalmusik. Im dritten Teil hat sie einen fernöstlichen Klang und das Duo evoziert Nijinskys „Les Orientales“. Später, wenn die beiden Mädchen auf der als Tennisplatz ausgeleuchteten Fläche tanzen, ist es eine neue Verision von „Jeux“. Am Ende nimmt Proietto noch einmal die Nijinskys Position des Faun ein. Doch all das ist akademisch.
Maliphants Choreografie ist jedoch einfach verzaubernd. Selten ist mir eine Stunde so kurz vorgekommen wie diese voller geheimnisvoller, zarter und poetischer Bilder, die mich in eine Art Trance versetzt hat.
Russell Maliphant hat einen sehr persönlichen Stil gefunden, der sich nicht so einfach in eine Schublade stecken lässt. Er selbst sagt: „Ich bin genauso interessiert an der Leichtigkeit des Balletts wie an der Bodenständigkeit des modernen Tanzes.“ Er versuche sowohl die Klassik als auch das Zeitgenössische zu vermeiden, denn „ich gehöre auf die Seite der Bewegung“.
In Kanada geboren, an der Royal Ballet School ausgebildet, war Maliphant Mitglied des Sadler’s Wells Royal Ballet, bevor dieses nach Birmingham übersiedelte. Als er sich dort zunehmend fehl am Platz fühlte, wechselte er die Richtung, wurde Tänzer in verschiedenen unabhängigen zeitgenössischen Compagnien und begann selbst zu choreografieren.
Maliphants Stärke sind intime und intensive Tanzwerke für kleine Besetzung, vorwiegend Solos, Duos und Trios. Die Zusammenarbeit mit der Über-Ballerina Sylvie Guillem und dem Theatermagier Robert Lepage gehören zu den Highlights in der Karriere des mehrfach ausgezeichneten Tanzschöpfers. Erst kürzlich wurde „AfterLight“ mit dem britischen Kritikerpreis „National Dance Awards“ zweifach - als bestes Tanzstück und für die beste männliche Performance - prämiert.
Dass sich an diesem Abend nur wenig Publikum im Festspielhaus St. Pölten einfand, liegt wohl auch daran, dass Russell Maliphant hierzulande wenig bekannt ist. Dass sich das ab jetzt ändern wird, dafür sorgt hoffentlich die auch für die kommenden Saisonen geplante, weitere Zusammenarbeit der Niederösterreicher mit Londons renommiertem Tanzhaus, dem Sadler’s Wells.
Russell Maliphant „AfterLight“, 8. April 2011 im Festspielhaus St. Pölten