Mit dem Film „The Artist“ ist der französische Regisseur Michel Hazanavicius mutig gegen den Strom geschwommen. Statt 3D oder Breitbild bringt er einen Stummfilm ins Kino und lässt seine Protagonisten ihre Gefühle tanzen. Ein Kinoerlebnis der besonderen Art.
Was damals, in den Anfängen des Kinofilms aus der Not geboren war, die übertriebene Mimik, die fehlende Sprache, die gestelzten Untertitel, macht der französische Filmregisseur Hazanavicius mit Charme und Augenzwinkern zur Tugend. Zuerst aber schockiert er die Zuschauer mit aufregenden Szenen, die so echt wirken, dass man meint im falschen Film zu sitzen. Bald aber fällt der Groschen: Es sind nur Filmszenen, Filmszenen aus einer vergangenen Zeit als die Bilder zwar laufen aber nicht sprechen konnten. Sie dienen dazu, dem Publikum den glücklichen Helden vorzustellen, den Stummfilmstar und Liebling der Frauen, George Valentin. Personifiziert wird er von Jean Dujardin – Menjou-Bärtchen, schmelzender Bick, verführerisches Lächeln, selbstverliebt auf der Höhe seines Ruhmes. Rudolf Valentino lässt nicht nur dem Namen nach grüßen. Bald aber wird der Tonfilm erfunden und Valentins Stern sinkt, der immer schneller immer tiefer fällt, sein Geld, seine Freunde, seine Frau, seinen Lebensmut verliert und nur noch sein Selbstmitleid hat. Doch zum Glück, ist da Peppy (Bérénice Bejo), deren Karriere im neuen Tonfilm steil nach oben führt. In einer kleinen Szene zeigt Hazanivicius wie beider Karriere verläuft: Er und Sie treffen auf halber Höhe einer geschwungenen Treppe aufeinander. Sie schwebt hinauf, er stolpert hinunter.
Von der ersten Begegnung an, ist Peppy in den schönen Mann verliebt und bleibt es auch, als er nicht mehr reich und auch nicht mehr schön ist. Er will nichts davon wissen, weist ihre Hilfe mit dem letzten Restchen Stolz zurück. Aber – es ist ja ein Melodram aus der Stummfilmzeit – nach vielem Hin und Her und Auf und Ab, finden die beiden ja doch zueinander. Anders kann es auch im Jahr 2010 nicht sein. Und weil George Valentin nicht gelernt hat, auf der Bühne zu sprechen, wird getanzt. Eine hinreißende Steppszene ist Ende und Höhepunkt der entzückenden Schmonzette.
Die Geschichte ist hübsch, gibt auch Anlass zu einigen Tränchen, hat jedoch auch Tiefgang, vor allem in der Charakterisierung des anfangs erfolgreichen, später immer tiefer sinkenden Stars. Das Faszinierende an diesem bereits mehrfach preisgekrönten Filmkunstwerk ist jedoch die liebevolle Machart, die perfekte Technik, die sorgsame Führung der DarstellerInnen und der kunstvolle Aufbau. Man merkt dass Hazanavicius eine Hommage an das Kino gedreht hat, an seine Magie und seiner Vorbilder. Mit modernen Mitteln hat er einen alten Film gezaubert, der alle Merkmale der großen Meister trägt, von Fritz Lang über Orson Welles bis Charlie Chaplin, und sie zugleich sanft ironisiert. Angesichts der technische Perfektion (Kamera Guillaume Schiffmann) und der auf alten Melodien basierende Originalmusik von Ludovic Bource im Kontrast zur rührseligen Handlung wechsle ich zwischen amüsiertem, begeistertem Staunen aus der Distanz und kritiklosem Hineinplumpsen in die herzbewegende Handlung.
Gedreht hat Hazanavicius in leer stehenden Filmstudios in Hollywood (und dennoch keinen Hollywood-Film gemacht) und, detailversessen wie er ist, auch in der Villa des Stummfilmstars Mary Pickford. Jean Dujardin hat in Cannes den Preis als bester Darsteller bekommen, aber auch sämtliche anderen Rolle, vom polternden, Zigarre rauchenden Produzenten (John Goddman) über die vorbeihuschende Krankenschwester bis zum ergebenen Diener Valentins (very british Malcolm McDowell), sind exzellent besetzt. Übrigens hat noch einer der Hauptdarsteller in Cannes eine Palme errungen: George Valentins ständiger Begleiter, Tröster und Retter, Uggy, als „bester aller Hundedarsteller.“
Letzte Meldungen: „The Artist“ wurde von der Jury des Europäischen Filmpreises mit drei Golden Globes ausgezeichnet: Bester Film in der Kategorie Komödie/Musical, Bester Hauptdarsteller (Jean Dujardin), Beste Filmmusik (Ludovic Bource).
„The Artist“ im Filmverleih Filmladen, ab 27. Jänner in den Kinos.