„Dynamik“ beherrscht die Ausstellung im Unteren Belvedere in Wien, die den Wiener Kinetismus mit internationalen Strömungen der Moderne konfrontiert. Eine wichtige Inspirationsquelle für die Entwicklung abstrakter Kunst allgemein und die Kinetistinnen besonders war der Tanz. Es galt die Bewegung fest zu halten und bildnerisch umzusetzen.
Die umfangreiche Werkschau zur Abstraktion in Wien zwischen 1919 und 1929 im Wiener Belvedere hebt die Wiener Avantgarde-Strömung des „Kinetismus“ neuerlich aus dem Vergessen. Schon 2006 hat das Wien Museum eine umfangreiche Ausstellung mit Bildern der Kinetistinnen geboten. Nun stellen die Kuratoren Harald Krejci und Patrick Werkner, die in einer Schulklasse an der damaligen Kunstgewerbeschule (heute Universität für Angewandte Kunst) entstandene Kunstrichtung, ins Licht der europäischen Moderne. „Dynamik! Kubismus / Futurismus /KINETISMUS“ zeigt die Vernetzung der Wiener Künstlerinnen (in Franz Cizeks Klasse waren vor allem junge Frauen) mit der internationalen Avantgarde auf beispielhafte und überaus erbauliche Weise. Die Bilder sind nicht chronologisch gehängt sondern in sechs Themengruppen gruppiert, die beim Spaziergang durch die Ausstellung ihre eigene Dynamik entwickeln. Erika Giovanna Klien und Marianne/My Ullmann oder Friedl Dicker können sich mit Pablo Picasso, Georges Braque oder Giacomo Balla durchaus messen.
Wichtige Motive für die abstrakte Kunst lieferte nicht nur der Rhythmus der Maschinen und der Großstadt sondern auch der Rhythmus des Körpers, die Atmung und Bewegung, der Tanz eben. So haben die Kuratoren einen ganzen Saal dem Tanz gewidmet. Franz Cizek, der Lehrer, war mit den Theorien zum freien Tanz bestens vertraut, ließ seine Schülerinnen tänzerische Bewegungen studieren und auch zur Musik malen. Der Publizist Leopold Rochowanski, der die einzige zeitgenössische Kinetismus-Monografie publiziert hat und bei Cizek studierte, trat selbst als Tänzer auf. Er war es übrigens auch, der 1922 den Begriff „Kinetismus“ (griechisch kinesis: Bewegung) prägte. Im Wiener Konzerthaus erhielten Tänzerinnen und Tänzer reichlich Gelegenheit das Publikum mit dem neuen, freien Tanz bekannt zu machen und auch in der Secession und im Hagenbund versammelte sich eine progressive Tanzszene. Junge Frauen hatten die Fotografie als ihr (freies, moderndes) Medium gewählt und schätzten Tänzerinnen als Modelle. Die Tänzerinnen ließen sich gerne fotografieren, bot ihnen doch das neue Medium eine größere Öffentlichkeit. Den Malerinnen lieferten die Tanzfotos reichhaltiges Vorlagenmaterial für die Umsetzung von Tanzbewegungen in ihr eigenes Medium.
Noch eine Gemeinsamkeit, wenn auch eine traurige, hat der Kinetismus mit dem freien Tanz: das Vergessen. Die Nationalsozialisten zerstörten die Kunst und die Menschen. Friedl Dicker etwa ist in Auschwitz ermordet worden, Klien ist wie Kiesler und viele ihrer Kolleginnen nach New York ausgewandert, Rochowanski wurde wie vielen Malerinnen verboten den Beruf auszuüben. Es mussten viele Jahrzehnte vergehen, bis die Wiener Avantgarde auf der Bühne und in Werkschauen wieder entdeckt worden ist.
Die europäische Avantgarde nahm von der Wiener Strömung durchaus Notiz, was nicht nur die Teilnahme Fernand Légers an der „Internationalen Ausstellung neuer Theatertechnik“ 1924 im Konzerthaus beweist. Léger zeigte damals seinen Film „Ballet Mécanique“ zum ersten Mal, der nun im Unteren Belvedere für Dynamik sorgt. Damals besuchten die Futuristen die Ausstellung und Friedrich Kiesler konnte seine Raumbühne im Konzerthaus realisieren: „Es schien als würde Utopia Realität werden“, freute sich rückblickend der 1965 in Amerika verstorbene Architekt, bildende Künstler, Designer und Bühnenbildner. Der Tänzer und Choreograf Sebastian Prantl, der sich in seinen Choreografien schon in den späten 1990er Jahren mit Kiesler und seiner Raumbühnenkonstruktion beschäftigt hat, eröffnete die Schau im Belvedere mit einem Parcours durch die Ausstellungsräume. Ihm ging es dabei um „einen choreografischen Prozess, der die Ausstellung im Wechselspiel von akustischen, visuellen und energetischen Kraftfeldern aufschlüsselt“. Cecilia Li hat das musikalische Konzept aus Klavierpartituren von Edvard Grieg und Philip Glass (unter anderen) entworfen. Aufgezeichnet und verarbeitet von Raffael Frick, ist die Performance innerhalb der Ausstellung als weiterer Film zu sehen.
„Dynamik! Kubismus / Futurismus / KINETISMUS“, bis 29. Mai 2011 im Unteren Belvedere .
Unter dem Titel „Kinetismus – Tanz – Theater. Zur Choreografie der Zusammenhänge“ lädt Harald Krejci am 30. März um 19 Uhr zu einer Expertenführung durch die Ausstellung.
„Wiener Kinetismus. Eine Bewegte Moderne“
Hrsg. Gerald Bast, Agnes Husslein-Arco, Harald Krejci, Patrick Werkner
Publikation in der Buchreihe Edition Angewandte beim Springer Verlag, Wien, 2011,
Hardcover: ISBN: 979 -3- 211-99143-5
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