Unter den Highlights der Wiener Tanzgeschichte sind zwei mit Bezug zum Weißen Haus in Washington. Beim Amerika-Gastspiel der Fanny Elßler hatte die Wienerin 1840 die Ehre, vom amerikanischen Präsidenten eingeladen zu werden. Mit den Worten „Alles für den Präsidenten!“ brach sie festlich geschmückt zu dem Event auf. Und 1974 antwortete die gerade „inthronisierte“ First Lady Betty Ford auf ein Glückwunschschreiben ihrer Tanzlehrerin – die (vertriebene) Wienerin Hedi Pope –, sie möge sie doch bitte weiterhin freundschaftlich „Betty“ nennen. Hedi Pope feiert am 18. März 2020 ihren 100. Geburtstag!
Als Hedi Pope diesen Brief von Betty Ford erhielt, waren 35 Jahre seit jenem Tag vergangen, an dem die damals 18-Jährige den Fuß auf New Yorker Boden gesetzt hatte. 1974 war sie nicht nur längst in einer neuen Heimat integriert, sie hatte sich auch als eine Persönlichkeit etablieren können, die, von Alan M. Kriegsman – dem renommierten Journalisten der „Washington Post“ – als „Washington dance pioneer“ bezeichnet, zu einer führenden Kraft der ganzen Region um die Hauptstadt der USA zählt. In ihrem damals schon fast 30 Jahre bestehenden und zu einer wichtigen Ausbildungsstätte gewordenen Studio für Modern Dance sind ihr ein besonderes Anliegen: „rhythm training“, „self expression“, „performing skills“, „self discipline“, „posture“, „poise“, „grace“.
Der Erfolg ihrer Schule ist umso bemerkenswerter, als Hedi Politzer, wie Hedi Pope mit ihrem Mädchennamen hieß, jener Generation von Vertriebenen angehört, die noch als Teenager in einen neuen kulturellen Raum verpflanzt worden waren. Dieser – die USA – brachte dem Tanz, in dem Politzer ausgebildet worden war – sie hatte zudem bereits maturiert –, zwar großes Verständnis entgegen, war der Tanzmoderne aber keineswegs in so hohem Maße aufgeschlossen, wie es Palästina oder Australien für die immigrierten Wienerinnen – etwa Gertrud Kraus oder Gertrud Bodenwieser – gewesen waren. Zudem hatten die genannten Vertreterinnen der Wiener Tanzmoderne das andere Land als in sich gefestigte Größen erreicht, ein Umstand, der selbstverständlich half, sich zu behaupten.
Grace and delight from Vienna
Spätestens als man Politzer über den Tod ihres Vaters am 23. Jänner 1939 im KZ Dachau in Kenntnis gesetzt hatte (sie war am 25. Jänner gemeinsam mit ihrer Schwester in New York angekommen – Affidavits von in den USA lebenden Verwandten hatten die Immigration ermöglicht), mochte sie erschüttert den Ernst der Lage erkannt haben. War die Heimat hinter ihr auch zugeriegelt (ihrer Mutter gelang es 1940 noch, Wien zu verlassen), so hatte man sie und die vielen, die nun in die USA und nach New York kamen, um hier Fuß zu fassen, nicht ihrer Begabung und Schulung berauben können. Im Fall Politzer waren dies eine fundierte und vielseitige Tanzausbildung sowie eine Spiellaune, die sie auch auf der Bühne des Sprechtheaters zu nutzen wusste.
Dabei war ihr bereits in Wien als Vertreterin der Moderne die tiefe Verwurzelung dieser stilistischen Tanzrichtung in der Kunstszene Wiens zugutegekommen. Schon in den Zwanzigerjahren gehörte es zur zeitgenössischen Regie, diese nicht nur „bewegt“ zu gestalten, sondern auch durch choreografierte Szenen anzureichern. Dadurch ergab sich für TänzerInnen ein neues und besonderes Betätigungsfeld. Schon als sehr junge Tänzerin hatte Politzer das Glück, für die verschiedensten Produktionen eingeladen zu werden, deren Tanzszenen alle von namhaften ChoreografInnen der Moderne gestaltet wurden. Im Burgtheater, wo sie in den Jahren 1933–38 rund 90 Mal aufgetreten ist, waren dies: „Aschenbrödel“ (Regie: Karl Eidlitz, Musik: Franz Salmhofer, Choreografie: Hedy Pfundmayr, 1933), „Der Misanthrop“ und „Die Lästigen“ (R.: Eidlitz, M.: Salmhofer, Ch.: Pfundmayr, 1935), „Die gefesselte Phantasie“ (R.: Herbert Waniek, M.: Franz Schubert / Felix Mottl und Salmhofer, Ch.: Margarete Wallmann, 1936), „Romeo und Julia“ (R.: Friedrich Rosenthal, M.: Salmhofer, 1936), „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“ (R.: Ernst Martin, M.: Salmhofer, Ch.: Fritz Klingenbeck, 1937).
Abrupt endete Politzers Wiener Tanzkarriere in den Tagen des „Anschlusses“. Am 11. März 1938, so erinnert sich die Jubilarin, habe sie noch an einer von Grete Wiesenthal geleiteten Tanzprobe zu „Faust, II. Teil“ im Deutschen Volkstheater teilgenommen. Rolf Jahn, der Direktor des Hauses, führte Regie, Albert Bassermann war als Mephisto besetzt, die Premiere für Ostern vorgesehen. Während sich die Tänzerin auf dem Heimweg in die Wohnung in der nahe gelegenen Stiftgasse befand, hörten dort die Eltern via Radio die Abschiedsrede von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, die das Ende der Ersten Republik besiegelte. Auch am Volkstheater war nun schlagartig alles anders: Jüdische Ensemblemitglieder wurden noch am Tag der NS-Machtübernahme entlassen, „Faust, II. Teil“ abgesetzt.
Nun, im New Yorker Frühsommer 1939, kam Politzer ihre bereits reiche Theatererfahrung zugute. Unter dem Namen Hedy Pitt wird sie Teil der von Victor Gruen (eigentlich Grünbaum) gegründeten Refugee Artists Group, die die Kleinkunst-Revue „From Vienna“ im Music Box Theatre am Broadway spielt. Die Texte waren unter anderem von Hans Weigel, Jura Soyfer und Peter Hammerschlag, Regie führte Herbert Berghof. Das Ensemble bestand hauptsächlich aus ehemaligen Mitgliedern der „Literatur am Naschmarkt“, und auch hier waren mehrere Tänzerinnen an dem Unternehmen beteiligt: neben Pitt Illa Roden (eigentlich Raudnitz, eine Bodenwieser-Tänzerin) und Kitty Mattern (eigentlich Matfus, in Hellerau-Laxenburg und am Max Reinhardt Seminar ausgebildet, die erste Ehefrau von Fritz Klingenbeck). Als Choreografin fungierte Lotte Goslar. Trotz guter Kritiken endete mit Kriegsbeginn der Erfolgslauf der Produktion. Die „New York Times“ brachte es auf den Punkt: „It is a shock to realize that people like these can be refugees from any part of the civilized world. For they are the grace and delight of civilized living.“
Figürliche Umrisse der Vergangenheit mit Wiener Tanzmoderne gefüllt
Die tänzerische Theaterarbeit, die Politzer so sehr half, die erste Zeit ihres Exils zu bewältigen, war aber nur ein Sidestep ihrer künstlerischen Arbeit in Wien gewesen, dieser hatte sich aus dem weit gespannten Einflussbereich der Tanzmoderne wie von selbst ergeben. Und es war nur ein konsequenter Schritt von Politzer, sich einem weiteren Sidestep dieser Moderne zu widmen: der Arbeit im Film, die sie tanzend ausführte. Als Mitglied der Tanzgruppe Pfundmayr wirkte sie in „Silhouetten“ des Drehbuchautors und Regisseurs Walter Reisch mit, ein Film, der, bereits unter schwierigen Bedingungen entstanden, 1936 herauskam und, da schon vor dem französischen Streifen „La Mort du Cygne“ gedreht, wohl der erste ganz im Bühnentanzmilieu angesiedelte Spielfilm der Kinogeschichte war. „Silhouetten“ kann heute als ein wichtiges Dokument für vielerlei gesehen werden. Zum einen für das Ausmaß, das dem Tanz in einem Film wienerischen Genres zugeteilt wird, wobei das Heranziehen des Tanzes als Evokation einer wienerischen Note an sich nicht neu war. Den Dreißigerjahren entsprach allerdings das hohe Maß, das man dem Tanz nun zugestand, ebenfalls der Zeit entsprach die stilistische Form, mit der das Wien-Image nunmehr tänzerisch eingehüllt wurde. Ebendarin liegt der zweite Grund für den dokumentarischen Wert von „Silhouetten“, denn hier werden die Auswirkungen der Tanzmoderne auf die verschiedenen tänzerischen Formen sichtbar, ein Faktum, das sich für die Tanzgeschichtsschreibung als umso wichtiger erweist, als aus dieser Zeit nur sehr wenig choreografisches Material erhalten geblieben ist.
Eine weitere Besonderheit des Films liegt auf einer anderen Ebene. Die Tatsache nämlich, dass Politzer relativ kleine Tanzparts auszuführen hatte, relativiert sich durch die Gegebenheit, dass Lisl Handl, Hauptdarstellerin des Films und spätere Ehefrau Reischs – beide emigrieren schon 1937 in die USA –, nicht nur ausgebildete Tänzerin war, sondern sich auch mit dem Erscheinungsbild Politzers wie schwesterlich verwandt erweist. Das Image Politzers überblendet sich mit dem der Hauptdarstellerin und entpuppt sich als jener Tänzerinnentyp, den (nicht nur) der Autor und die Choreografin Pfundmayr als spezifisch wienerisch propagierten. Und dieser besondere Tänzerinnentyp entspricht auch jener Vorstellung vom „Wiener Mädel“, der an sich fester Bestandteil des Wiener Darstellerinnenrepertoires ist.
Folgerichtig wird in den Szenen, die mit der Erzählung um die Protagonistin in Zusammenhang stehen, auch jene tänzerische Stilrichtung eingesetzt, die man seit den Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts mit der Stadt Wien in Verbindung bringt: der Wiesenthal-Stil. Schwebend, schwungbetont, leicht, mitunter auch erdgebunden, walzerselig. In den Dreißigerjahren vertritt nun schon eine neue Tänzerinnengeneration diese von Grete Wiesenthal kreierte besondere Art des Tanzes, die auch „Mundart der Moderne“ benannt wurde. Darunter sind Politzer und Handl. Davon setzen sich jene von Pfundmayr choreografierten Tanzszenen ab, die als Teil der Filmhandlung entstehen und Tanzgrößen wie Pfundmayr selbst, Mila Cirul, Toni Birkmeyer, Willy Fränzl oder die aufstrebende Lisl Temple ausführen. Sie sind vorwiegend in einem Idiom gehalten, das man, salopp formuliert, als adaptierte Moderne bezeichnen könnte. Dies ist auch jene choreografische Sprache, die Politzer im Burgtheater ausführte. Das getanzte Finale des Films, an dem Politzer selbstverständlich teilhatte – nach Reisch „ganz in wienerische Atmosphäre getaucht“ –, war dann wiederum im fließenden Wiesenthal-Stil gehalten.
Zu der Arbeit an „Silhouetten“ kamen für Politzer 1937 noch zusätzliche filmische Aufgaben in den Kulturfilmen „Wiener Walzer“ (Drehbuch: Grete Wiesenthal, R: Max Zehenthofer) und „Wiener Mode“ (R: Adi Mayer, Alfred Kunz). Produziert, um als Österreich-Werbung bei der Weltausstellung in Paris gezeigt zu werden, wird in ersterem Film in Choreografien von Wiesenthal die Entwicklung des Walzers nachgezeichnet. Wiesenthal selbst und Birkmeyer sind die Protagonisten, Politzer, Temple, Maria Schindler und Max Lewinsky, der Enkel des Hofschauspielers Joseph Lewinsky, zählen zu den weiteren Ausführenden. Die Aufnahmen fanden teils im Park von Schönbrunn („Entstehung des Walzers“ und „Das gestörte Rendezvous“), teils im Studio („Wiener Blut“) statt. Eine Walzerchoreografie für große Besetzung schuf Pfundmayr für den Dokumentarfilm „Wiener Mode“, in den letztlich auch Teile aus Wiesenthals Walzerfilm Eingang fanden.
Zu dieser Filmarbeit kam für Politzer in ihrer letzten Wiener Theatersaison noch eine weitere überaus interessante Aufgabe, ihre Mitwirkung in Otto Werbergs „Wiener Tanzbrettl“. Das aus Solisten des Wiener Staatsopernballetts (Poldy und Erwin Pokorny) und Absolventen moderner Schulen gebildete Ensemble gab im November 1937 sein vielversprechendes Debüt. Politzer tanzte in Choreografien des Gertrud-Kraus-Schülers Werberg („Dorfidyll“, „Bilder aus meinem Familienalbum“, „Gärender Wein“) und Grete Wiesenthal („G’schichten aus dem Wienerwald“). Zur „großen Wirkung des theatralisch-visuellen Moments“ des Abends trugen auch die Kostüme von Erni Kniepert und Georg Kirsta bei, dazu die „Wunderwerke“ von Ladislaus Czettel. Eine Weiterführung war dem Unternehmen nicht beschieden, Werberg musste nach dem „Anschluss“ fliehen, seine künstlerische Laufbahn fand ab 1939 Fortsetzung in Buenos Aires.
„… da verirrt sich zu den Schatten das Glück“
Nach dem plötzlichen Ende ihrer Arbeit am Broadway war Hedi Politzer – Hedy Pitt nannte sie sich nur für die Theaterarbeit – wohl von jener Wehmut erfüllt, der auch im Film „Silhouetten“ mitschwingt. Wie der Nachhall einer Textzeile des „Silhouetten“-Walzers, wonach sich „zu den Schatten das Glück verirrt“, mutet es an, wenn Politzer nun, da es galt, tragfähige, für die neue Heimat passende Entscheidungen zu treffen, sich auf ihre profunde tänzerische und körperliche Ausbildung besinnt. Es lag also nahe, sich dahin gehend weiterzubilden und sich bei einem weiteren Studium auf Tanz zu konzentrieren. Mit Scholarships, die zu bekommen sie das Glück hatte, studierte sie zuerst an der Miami University in Oxford, Ohio (Abschluss 1942 mit einem Bachelor of Science Degree), sodann betrieb sie bis 1943 ein Studium mit Master-Degree-Abschluss am Wellesley College, Wellesley, Massachusetts (Hauptfach Physical Education, Dance und Gymnastics).
Erst in diesen Jahren, in denen sie mit amerikanischen Körper- und Tanztechniken vertraut wurde (unter anderem an der Connecticut College School of the Dance), mochte Politzer erkannt haben, wie groß die Verwandtschaft zwischen mitteleuropäischer und amerikanischer Tanzmoderne war. Und mehr noch: Einige der Methoden der Körperbildung, die sie schon als kleines Mädchen erlernt hatte, stammten in ihrer Basis aus den Vereinigten Staaten! Dazu gehört der Unterricht der sogenannten „Harmonisch-rhythmischen Gymnastik“, die Politzer seit ihrem fünften Lebensjahr bei Marie Trimmel durch das System Delsarte-Stebbins übermittelt bekam. Dabei handelt es sich um eine von Genevieve Stebbins entwickelte Art von Körperarbeit, die die philosophischen Lehren von François Delsarte in eine weitergebbare Gymnastik formte. Schon um 1900 hatte sich diese Körperarbeit besonders an den amerikanischen Mädchencolleges etabliert, ab den Zehnerjahren fand sie auch in Mitteleuropa größte Verbreitung. Eine Modifizierung dieser Körperarbeit war die „Hygienisch-harmonische Gymnastik“ nach den Methoden Mensendieck und Stebbins/Kallmeyer, die Politzer ab etwa dem achten Lebensjahr bei Zina Luca (der Mutter von Dia Luca) erlernte. Die Ärztin Bess Mensendieck hatte bei ihrer Modifizierung der Gymnastik das Augenmerk auf medizinische Aspekte des Frauenkörpers gelegt, Hade Kallmeyer die „Hygiene“ mit künstlerischem Tanz vereint. Welche Nuancen auch immer sich im Laufe dieser ersten Phase einer Körperbildung ausformten, sie wurden, insgesamt gesehen, zur Basis für die VertreterInnen der Wiener Tanzmoderne.
Bei drei Exponentinnen der Wiener Tanzmoderne hatte Politzer studiert: Ellinor Tordis, Pfundmayr und Grete Wiesenthal. Von diesen übten die beiden zuletzt genannten den größten Einfluss auf sie aus. Dass es sich dabei um erklärte Individuen handelte, zeigt bereits die völlig verschiedene Art und Weise, wie sie „ihre“ Ausbildung benannten. Tordis gab „Rhythmik, Gymnastik und künstlerische Körpererziehung“ als ihr Lehrangebot an, Pfundmayr sprach von „Kunsttanz“, womit sie wohl betonen wollte, dass sie die in diesen Jahren so beliebte Laienarbeit in ihren Unterricht nicht mit einschloss. Dass Wiesenthal bei der von ihr kreierten Tanzform schlichtweg von „Tanz“ sprach, zeugt von dem Selbstbewusstsein dieser singulären Persönlichkeit. All dieses Körperwissen konnte Politzer nun amerikanischen Richtungen des Modern Dance gegenüberstellen.
Dieselbe Körperbasis, ein anderer Kontext, neue Wege und Ziele
Wirft man einen eingehenden Blick auf jene amerikanischen körperlichen Systeme, Methoden und Techniken, denen Politzer sich nun zuwandte, so wird deutlich, dass der Modern Dance, der in den USA insbesondere auf akademischem Boden weiterentwickelt wurde, auf ebenjener Basis baute wie seine mitteleuropäische Spielart. Martha Graham und Doris Humphrey, deren Techniken Politzer nun studierte, waren jene, die an der Spitze der amerikanischen Moderne standen. Beide hatten in der privaten Denishawn School studiert, ein heute weltberühmtes Ausbildungsinstitut der Moderne, das Ruth St. Denis und Ted Shawn 1915 gegründet hatten. Das breitgefächerte Unterrichtsangebot beinhaltete auch die diversen Körperbildungsschulungen, die man um die Jahrhundertwende in den USA aus den Lehren von Delsarte entwickelt hatte und die – wie von der frühen Ausbildung von Politzer bekannt – auch nach Europa gelangt waren. Graham und Humphrey hatten allerdings in den Zwanziger- und Dreißigerjahren – und durchaus auch von den Lehren von Denishawn abweichend beziehungsweise sie weiterentwickelnd – einen jeweils eigenen Tanzkosmos mit dazugehöriger Technik und eigenem Repertoire kreiert. Was beide von den Lehren übernahmen, war der Wunsch, eine spezifisch amerikanische Tanzart zu etablieren. Von besonderem Interesse mochte für Politzer ihr Studium bei Hanya Holm gewesen sein. Diese Mary-Wigman-Schülerin war seit dem Beginn der Dreißigerjahre in New York, um dort die Lehren der Meisterin zu propagieren.
Konnte Politzer das Vorgefundene also nicht ganz fremd gewesen sein, galt es nun doch, sich mit neuer Körperlichkeit, einer neuen Ästhetik, neuen Inhalten und einem eigenständigen Werkrepertoire auseinanderzusetzen. Es entsprach der geistigen und physischen Intelligenz Politzers, dies hervorragend gemeistert zu haben. Nach Abschluss ihres in verschiedenen Bundesstaaten betriebenen Studiums ist sie bis 1946 Instructor und Assistant Professor am Converse College in Spartanburg, South Carolina. Dort entstehen bereits Choreografien für Tanzabende und Festspiele. Überdies unterrichtet sie auch am Marjorie Webster Junior College, Washington, DC.
1946 heiratet sie William C. Pope, Tochter Bonnie und Sohn William Bruce kommen zur Welt. 1947 eröffnet Hedi Pope, wie sie nun heißt, ihr Dance Studio in Alexandria, Virginia. Es entstehen Choreografien für Tanzabende, Musical, Schauspiel sowie Aufführungen für und mit Kindern. Von den zahlreichen Schülerinnen des Studios, das bis 1982 existiert, seien hier nur Betty Ford und Jan Van Dyke hervorgehoben. 1978 gründet Pope ihre eigene Kompanie, die sie CODA (Contemporary Dancers of Alexandria) nennt; diese wird, wie es in Einschätzungen heißt, zu einem „outlet of creativity in the Washington DC area“, zu „one of the area’s leading modern dance companies, featuring original repertory by both indigenious and visiting choreographers“.
1976 wird Popes nun schon drei Jahrzehnte andauernde pädagogische Tätigkeit in Alexandria durch einen Letter of Appreciation des Bürgermeisters gewürdigt, 1983 erhält sie in Alexandria den Award für „Outstanding Achievement in the Cultural Affairs and the Arts“. 2006 ergeht an sie der Pola Nirenska Lifetime Achievement Award. Der eminente Tanzkritiker George Jackson, wie Pope auch er aus Wien stammend, hält die Laudatio. (Nirenska, die Namensgeberin des Award, war Mitte der Dreißigerjahre eine Schülerin von Rosalia Chladek in Hellerau-Laxenburg gewesen und hatte sich letztlich in Washington niedergelassen.) Während Pope sich allmählich von ihrer aktiven Tätigkeit als Pädagogin und Choreografin zurückzieht, übernimmt sie eine ehrenamtliche Aufgabe am US-Holocaust Memorial Museum in Washington, DC. Mehrere Male besucht sie Wien: 2002 hält sie Vorträge innerhalb der Veranstaltungsreihe „Wiener Tanz im Exil“ und der vom Literaturhaus veranstalteten Ausstellung „From Vienna“; 2008 folgt sie einer Einladung von „A Letter To The Stars“.
2004 erinnert sich Pope, die heute in einer Seniorenresidenz in Arden, North Carolina, lebt, in einem Vortrag in der Österreichischen Botschaft in Washington, DC an ihren Unterricht bei Grete Wiesenthal:
„I studied at her private studio during 1937 and 1938. The ambience of her classes was calm, elegant and serious. She taught elegantly dressed, seated on a bench with an assistant – Lili Calderon-Spitz or Lisl Temple – demonstrating according to her directions. All the students wore specially designed Wiesenthal sandals. Classes started with a Wiesenthal designed ballet barre, stressing again and again the >eternal arm<, i.e. one must be aware of arms and hands every moment of even the smallest movement.
Her youngest sister Marta accompanied the classes. She not only was an accomplished pianist, but also a dancer, and could not stand seeing anyone NOT in time to the music. I still remember her shaking head and turning away in disgust if someone in class ignored her beat.“
Zu den bleibenden Verdiensten der Jubilarin gehört es auch, das „kulturelle Erbe“ Wiesenthal-Stil unterrichtend in den USA vertreten zu haben; dies mag als ein untrennbares Band zwischen Hedi Pope und ihrer früheren Heimat Wien gesehen werden.