Mehr als Humtata. Jubiläen bieten sich an, innezuhalten und eine Gesamtschau vorzunehmen. So auch das 40-jährige Bestehen des klagenfurter ensembles (ke). In diesem Artikel wird eine Kontextualisierung von Tanz und Performance im ke seit 1979 versucht. Spiegeln die Aufführungen eine österreichweite Entwicklung wider oder agiert Klagenfurt abgeschieden von österreichweiten und internationalen Geschehnissen?
Nun, begonnen hat alles ohne Tanz und Performance. Das 1978 gegründete klagenfurter ensemble verschreibt sich dem avantgardistischen Sprechtheater. 1987 übernimmt Gerhard Lehner die Leitung. Lehner, Betriebswirt und Schauspieler, bringt eine Offenheit für den professionellen Bühnentanz mit. 1974 begeistert ihn eine Aufführung der US-amerikanische Ikone des Postmodern Dance Merce Cunningham an der Technischen Universität in Wien. Als das ke im Jahr 1994 die erste feste Spielstätte im Schütte-Lihotzky-Haus erhält, beginnt er Gastspiele einzuladen.
Die russische Kompanie Abramow tanzt an
1995 ist es dann soweit. Am 11.2.1995 geht mit „Zwischenstation“ der russischen Kompanie Abramow das erste zeitgenössische Tanzgastspiel als Kooperation zwischen Kulturamt Klagenfurt und dem ke über die Bühne. Das Kulturamt ist nach dem Ende des stadteigenen Festivals „Woche der Begegnung“ froh über diese neue, vergleichsweise kostengünstige Präsentation von Tanz. Laut Udo Leitner, damals Geschäftsführer, war „das Publikum im komplett überbuchten Theater begeistert“. Andrea Hein resümiert dazu in der Kärntner Krone: „Was (...) auf die Bühne kommt, ist Improvisationspantomime bis zur Ekstase, zeitlupenhafte Bewegungsabläufe und ins unerträglich gesteigerte Wiederholungen, die mit sparsamer, doch effektvoller akustischer Untermalung in dynamische Bilder explodierender Gefühle münden.“
Nach dem gelungenen Auftakt zieht die Stadt einen für Tanz geeigneten Holzboden in das Haus ein. Obwohl das Kulturamt sich als Veranstalter zurückzieht, beherbergt das ke zwischen 1995 und 2003 über 40 (!) nationale und internationale Tanzgastspiele.
Die Staudinger-Crisafulli-Eigenmarke
Parallel zu den Tanzgastspielen etabliert sich über die Kooperation zwischen dem ke, dem Autor Andreas Staudinger sowie dem römischen Szenografen Fabrizio Crisafulli und seiner Kompanie Il Pudore Bene in Vista eine charakteristische ke-Eigenmarke. Von 1997 bis 2007 realisieren Staudinger und Crisafulli fünf Produktionen, deren Ästhetik im Sinne des Gesamtkunstwerks, Körper, Bewegung, Klang, Licht und Raum gleichberechtigt auf die Bühne stellt. Das ke labelt diese Produktionen seinem Selbstverständnis entsprechend als Experimentelles Theater, wodurch der tänzerisch-performative Anteil unterbelichtet bleibt.
1994 – 1999: Die 1. Tanzwelle
Von 1994 bis 1999 kommt es zu zahlreichen Tanzaufführungen im ke, die ich salopp als 1. Tanzwelle bezeichne. Tanzschaffende mit Kärntenbezug wie Zdravko Haderlap, Alenka Hein, Bernadette Prix-Penasso, Marina Koraiman, Karin Steinbrugger und Ursula Schebrak-Carcich drücken sich die Klinke in die Hand.
Berührend gestaltete sich dabei beispielsweise „Moving out im September“ im Herbst 1995 mit Alenka Hein, Andrea Bold und Ina Rager über Facetten weiblichen Innenlebens. Besonders beeindruckt Ina Rager in schwarzem Krinolinenrock mit Schirmchen, die als verkrüppelte Zwergin während eines Spazierganges im Mist einen roten Schuh findet, der sie einen Augenblick von ihrer Verbitterung ablenkt. Im Tagtraum kann sie sich plötzlich grazil bewegen und ihren Sehnsüchten Ausdruck verleihen.
Überregionale Bedeutung genießt das Stück von Zdravko Haderlap „Marička“ aus dem Jahr 1992, welches 1995 im ke wieder aufgenommen wird. Der Kärntner Slowene Haderlap, der mit seinem provokanten Tanztheater Ikarus von 1990 bis 1998 Kärntner Tanzgeschichte schreibt, zeichnet darin die Zeit vom Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart anhand der Lebensgeschichte der Kärntner Magd Marička nach. Ursula Kneiss lobt anlässlich der Uraufführung im Standard: „Marička, die geistig beschränkte, aber schöne Magd, die im Stall leben musste, sexuell missbraucht und dann zwangssterilisiert wurde und deren missglückte Selbstmordversuche in der eigenen Verstümmelung endeten, steht als Mahnmal für die ausgenützten, ausgegrenzten Menschen, für Auflehnung und Unterordnung.“
Im Gegensatz zu Haderlaps gesellschaftspolitischem Ansatz widmet sich Ursula Schebrak-Carcich in „Rosé – ein Tanzgedicht“ den lyrischen Seiten des Tanzes. Schebrak-Carcich versteht sich als Mittlerin von Seelenbewegungen, die aus dem Motiv der Rose entstehen. Serina Babka schreibt in der Kärntner Krone dazu: „Modernen Tanz sieht man in Klagenfurt selten und gar auf so kleinen Bühnen wie im „ke“-Theater. Kein Wunder, dass der Tanzpädagogin Ulla Schebrak die Publikumsherzen für ihr Tanzgedicht „Rosé“ zuflogen (...).“
Neben Kärntner Größen sind österreichische Choreograf*innen der 1. Generation des zeitgenössischen Tanzes, also der heute um die 60-jährigen, im ke zu Gast. Mehrfach kommen die Salzburger Kompanien von Helene Weinzierl und von Editta Braun. Einmalig tanzt 2001 die damals gehypte und inzwischen aufgelöste Kompanie pilottanzt von Roderich Madl und Doris Ebner für das ke im Schloss Welzenegg. Ihr „Moving Gallery“ markiert historisch gesehen eine Wende von tanztheatraler zu performativ-zeitgenössischer Dynamik.
Das maßgeblich von Pina Bausch geprägte Tanztheater bedient sich seit den 1970er Jahren der Technik der Collage, um über ein Thema oder eine Person eine frei assoziierte Bilderkette zu weben. Dabei entstehen anschauliche Tableaux von Solo- und Gruppenszenen, die in einem ausdruckstänzerischen Bewegungsvokabular getanzt werden. Zeitgenössische Arbeiten, die häufig unter dem Begriff „Performance“ firmieren, folgen hingegen ab den 1990er Jahren digitalen Kompositionsprinzipien von Vernetzung und Kombinatorik. Den Tanzschaffenden geht es weniger um Bedeutungsvermittlung als darum, das Publikum in das Ereignis einzubeziehen. In ihre Bewegungssprache integrieren sie viele Techniken, von Asiatischem Kampfsport über Urbanen Tanz bis zu Release oder Contact Improvisation.
Der Wiener Georg Blaschke zählt übrigens mit fünf Gastspielen im Laufe von 14 Jahren zu den häufigsten Wiederkehrern. Dies ermöglicht dem Publikum, seine Entwicklung von biografisch-tanztheatralen Zugängen (Kafka, 1998) über digitale Auseinandersetzungen (space-dervish, 2002) bis zu abstrakten Arbeiten (figure 5, 2012) zu verfolgen.
Kontakte im Alpen-Adria-Raum und darüber hinaus
Georg Blaschkes Frühwerk entstand in Kooperation mit der Kompanie Atti Impuri. Das ke arbeitet (Stichwort Eigenmarke) intensiv mit Fabrizio Crisafulli zusammen. Vor diesem Hintergrund erklären sich ganze zehn (!) Produktionen mit italienischem Anteil auf dem Spielplan. Im Gegensatz dazu erweist sich die Tanzszene aus dem benachbarten Slowenien auffallend unterrepräsentiert. So bleibt das Gastspiel „Telborg“ von Mateja Bučar im Jahr 1999 für 16 Jahre der einzige Tanzbeitrag aus dem Nachbarland. Angesprochen auf diese Tatsache, erklärt Intendant Gerhard Lehner im Interview, ihm war es ein Anliegen einheimische Produktionen in den Mittelpunkt zu stellen und „von 2004 bis 2010 konnten wir mangels Budget sowieso nichts machen.“ Doch dazu später.
Internationale Gastspiele über den Alpen-Adria-Raum hinaus sind in den 1990er Jahren rar. Am Puls der Zeit ist man jedoch mit „Press Return“ der deutsch-amerikanischen Palindrome Dance Company im Jahr 1998. Gemeinsam mit der inzwischen aufgelösten Kärntner Kulturinitiative ATTIK und dem Kulturamt Klagenfurt präsentiert das ke diese interaktive Performance. Über ein spezielles Computer-Kamera-System und über direkt am Körper befestigte Elektroden interagieren die Tänzerinnen und Tänzer mit der Musik, gesampelten Texte, Bühnenlicht und Bildprojektionen. Ein Cyber-Erlebnis der besonderen Art.
1999 – 2003: Fette Jahre / Festival „Zwanzig +“
Die meisten internationalen Tanzgastspiele finden zwischen 1999 und 2003 statt. Anlässlich des 20-jährigen Bestehens des ke installiert Gerhard Lehner mit Hilfe von Sonderzuwendungen der öffentlichen Hand das Sommer-Festival „Zwanzig +“ für Tanz, Theater und Avantgarde. Mit Ausnahme eines rhythmischen Konzertes von „Les Tambours de Brazza“ aus der Republik Kongo kommen alle Gäste von „Zwanzig +“ aus Europa, genauer gesagt aus Italien, Norwegen, Spanien, Slowenien und Ungarn. Die Einladungen der Künstlerinnen und Künstler folgen dabei keiner ästhetischen Systematik. Neben Schauspiel, Konzerten, Kabarett ist auch Ballett, Tanztheater, zeitgenössischer Tanz und Performance zu Gast.
Zu einem Höhepunkt von „Zwanzig +“ zählt „live“ der norwegischen Kompanie Wee des Italieners Frenceso Scavetta im Jahr 2003. Scavetta interagiert darin dynamisch, präzise und humorvoll mit dem Live-Video an der Wand. Andrea Hein schreibt in der Kärntner Krone: „Das norwegisch-italienische Ensemble aus Oslo mixte „live“ mit Fantasie, Intelligenz und Humor einen erstklassigen, extravaganten Cocktail aus Körper und anderen Künsten.“
2003 – 2009 Dornröschenschlaf
2003 endet das Festival „Zwanzig +“ aufgrund von Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand. Auch das seit 1995 bestehende Kinder- und Jugendtheaterfestival „allerhandundfuß“ und das junge „Mailüfterl“, ebenfalls für junges Publikum, müssen 2003 finanziell bedingt zusperren. Dadurch wird Tanzschaffenden wie Irène Borguet-Kalbusch (Compagnie Irène K. aus Belgien), Elisabeth Orlowsky (Compagnie Smafu), Bernadette Prix-Penasso (Tanztheater Stella Maris), Klaudia Reichenbacher (TanzTheater Graz), Karin Steinbrugger (Tanztheater Humunculus) und Aurelia Staub (Theatergruppe Konnex) eine wichtige Präsentationsplattform entzogen. Das Einstellen der Festivals schlägt eine tiefe Schneise in das Kulturangebot für junge Menschen. Eignen sich doch just die bilderreichen, nonverbale Tanzstücke optimal, um sie für die darstellenden Künste zu begeistern.
Aufgrund weiterer finanzieller Abstriche durch die öffentliche Hand verliert das ke 2004 seine fixe Spielstätte im Schütte-Lihotzky-Haus. Von 2004 bis 2009 kann es kein einziges Tanzgastspiel beherbergen. In den Jahren der Wanderschaft stemmt man kaum die raren Eigenproduktionen.
2010 – 2015: Die Jungen kommen und dance2eleven
Nach sechs dürren Jahren geht es ab 2010 wieder bergauf. Das ke zieht in die theaterHALLE11 ein. Die räumliche Sicherheit geht Hand in Hand mit einer Steigerung der Tanzgastspiele. Diese geben Einblick in eine inzwischen nachhaltig veränderte Tanzlandschaft. Neben bekannten Namen wie Helene Weinzierl, Editta Braun und Georg Blaschke geben viele Newcomer*innen ihre Visitenkarte ab: Zum einen besuchen zwei neue Kärntner Player*innen das Haus: Das seit 2010 aktive CCB Center for Choreography Bleiberg/Pliberk ist einmal zu Gast. Andrea K. Schlehwein, die sich ab 2008 in Millstatt ein Zuhause mit explizit zeitgenössischem Tanz aufbaut, zeigt in diesem Zeitraum sechs neue Arbeiten. Als „getanzte Assoziationen“ beschreibe ich 2010 „Ariadnes Faden“ in einer Rezension für die Kleine Zeitung. Und weiter: „In der für Schlehwein typischen artifiziellen Gesamtkunstwerk-Ästhetik aus Bühne, Sound, Text, Schreiben, Sprechen und Tanzen entsteht ein packender poetischer Abend über die Geburtswehen einer Idee.“
Abgesehen von Schlehwein und dem CCB tritt erstmals eine Generation junger Tanzschaffender mit Kärntenbezug als positive Schubkraft in Erscheinung. Im Gegensatz zur 1. Generation der um die 60-Jährigen, die sich ihre Technik und Ästhetik häufig autodidaktisch aneigneten, können die Jungen der 2. und 3. Generation bereits einen Hochschulabschluss vorweisen und auf dem historischen Kanon der Gründer*innen aufbauen. Die meisten der jungen Kärntner*innen machen mangels regionaler Verdienstmöglichkeiten in Wien Karriere. Das Bestreben des Nachwuchses, seine Arbeiten in der Heimat zu zeigen, belebt jedoch ab 2011 das Tanzangebot ungemein: Valentin Alfery, Anna Hein, Leonie Humitsch, Sapia Nedwed, Niki Meixner, Anja Kolmanics, Martina Rösler, Stefanie Sternig, Astrid Seidler, Martina Seidl und Thales Weilinger bieten variantenreiche Produktionen.
Valentin Alfery gelingt mit seiner Kompanie „Hungry Sharks“ das Kunststück, den Urbanen Tanz österreichweit auf zeitgenössischen Bühnen salonfähig zu machen. Gemeinsam mit Produzentin Dušana Baltić punktet er mit „Hidden in Plain Sight“ über zwanghaften Smartphone-Gebrauch in Wien. Edith Wolf Perez auf schrieb 2016 auf tanz.at: „Choreografisch ist Alfery mit „Hidden in Plain Sight“ weit über den Urban Dance Ursprung hinausgegangen und hat die Jugendkultur bühnentauglich gemacht." Das Ergebnis ist ein überaus dynamisches, aufregendes, künstlerisch kinetisches Bühnenerlebnis.Inzwischen touren die „Hungry Sharks“ weltweit. Trotz des internationalen Erfolges zeigt Alfery weiterhin seine Stücke im ke.
Das zeitgenössische Tanzgeschehen befeuert in den Jahren 2014 und 2015 eine Initiative des Kulturamtes Klagenfurt. Unter dem Titel „dance2eleven“ erhalte ich den Auftrag, eine Gastspielserie im ke zu programmieren. 2014 testet die Linzer Kompanie Transitheart Productions ihre Körper auf Ausdauer und Belastbarkeit. Editta Braun recherchiert in „derzeit wohnhaft in“ über kulturelle Identitäten und das Toihaus Salzburg entwickelt in „feed and bleed“ eine außergewöhnliche Bewegungssprache in Anlehnung an mutierte Insekten.
2015 nütze ich für dance2eleven meine Kontakte nach Ljubljana, um endlich wieder slowenische Gastspiele zu ermöglichen. So performen in diesem Jahr sowohl Tanja Zgonc in „Tulkudream“ als auch Matija Ferlin in „Sad Sam Lucky“. Insgesamt zeigt sich jedoch, dass einzelne Aufführungen während der laufenden Spielsaison schwierig zu positionieren sind. Aufgrund von Sparmaßnahmen der Stadt Klagenfurt ist „dance2eleven“ nach nur zwei Spielzeiten Geschichte.
Seit 2016: Pelzverkehr, Festival für zeitgenössischen Tanz und Performance
Seit 2016 findet unter meiner Leitung Ende September das etwa 10-tägige Festival Pelzverkehr für Tanz und Performance als Kooperation zwischen der Kulturinitiative „Tanzamt Klagenfurt“ und dem ke statt. Das Festival-Format wähle ich, um geballt Aufmerksamkeit zu gewährleisten und um mich in den laufenden Eigenproduktionsbetrieb des Hauses besser einzufügen. Pelzverkehr ist das erste Festival in Kärnten, welches sich ausschließlich auf zeitgenössischen Tanz und Performance fokussiert. Der Name ist Programm: „Sind Menschen nicht behaarte Wesen in Bewegung?“, lautet die Beschreibung der ersten Edition auf www.festivalpelzverkehr.at.
Mit der Aufbruchsstimmung der lokalen Tanzszene im Rücken zeigt Pelzverkehr Produktionen, deren tänzerisch-performatives Spektrum von ästhetisch Vertrautem bis zu Experimentellem reicht. Neben Erwachsenenproduktionen sind von Anfang an auch Stücke für Kinder und Jugendliche im Programm, um das geringe Tanz- und Performanceangebot für junges Publikum abzufedern.
Dem Alpen-Adria-Gedanken entsprechend präsentiert Pelzverkehr sowohl Kärntner und österreichische Produktionen als auch Arbeiten aus Slowenien und Italien. Alle Stücke verbindet eine gesellschaftliche Relevanz: Da werden beispielsweise Gesellschaftstänze zeitgenössisch re-politisiert, Partizipation geübt, Genregrenzen überschritten, Choreografie innovativ erweitert, Utopien erzeugt und Geschlechterstereotypen hinterfragt.
Das Publikumsinteresse an Pelzverkehr ist hoch, das Medienecho durchwegs positiv.
So schreibt Andreas Peterjan 2016 über die Volkstanzdekonstruktion des international gefeierten Solos „Sons of Sissy“ von Simon Maier in der Kleinen Zeitung: „Mit den Mitteln des Tanzes wurde die Zurschaustellung eines durchaus heidnischen Körperkultes hinterfragt – und der zugehörige Voyeurismus thematisiert, indem sich die Tänzer allmählich entkleideten. Vom gemeinhin zelebrierten Brauchtums-Kitsch blieben da selbstredend nur Trümmer übrig. Wie sagte schon Brecht? Das Volk ist nicht tümlich. Gut so!“
Begeisterte Kritiken erhält heuer Irene Russolillos Trio „This is your skin“. Johanna Hörmann lobt auf www.tanz.at wie die „ekstatische Bewegungssprache und elektrisierende Energie (...) in das Publikum schwappen“. Die Bedrohlichkeit verortet Hörmann in den abgehackten Moves der sirenenhaften Tänzerinnen, „die sich einer kontinuierlichen, fließenden (‚weiblichen‘) Bewegungssprache zum einen verwehrt und zum anderen mit lieblichem Gesang ad absurdum führt (...).“
Duckburg oder über die Aufwertung der Peripherie
Das ke präsentiert – soviel zeigt diese beeindruckende Zusammenschau – in seinem 40-jährigen Bestehen viel mehr Tanz und Performance als vermutet. Das Angebot besteht aus Aufführungen im laufenden Spielbetrieb und während Festivals. Neben bekömmlichen Arbeiten werden viele Stücke gezeigt, die in der Regel einen hohen Grad an Sehgewohnheit und Fachwissen erfordern. Der Verdacht, wonach Klagenfurt von der österreichischen Tanzentwicklung abgeschnitten ist, bestätigt sich nicht. Zentrale Positionen innerhalb der österreichischen Tanzentwicklung seit den 1980er Jahren, darunter sehr viel Tanztheater und zuletzt vermehrt zeitgenössischer Tanz und Performance, finden ihren Weg auch an den Wörthersee.
Stücke, die sich mit dem Verhältnis von medialer zu körperlicher Präsenz auseinandersetzen (Wee Kompanie „live“) kommen ebenso auf die Bühne wie Community-Arbeiten (Artemis Generationentheater „Die Talisfrau“) und besonders häufig Inklusiver Tanz (I Dance Company, Michael Turinsky, Inklusiv Theater Ledenitzen, Cornelia Scheuer). Letzteres ist insofern erfreulich, weil die inklusive Kunst u. a. von der Arbeit der österreichischen Ausdruckstänzerin Hilde Holger inspiriert ist, die als Jüdin im Zuge des Nationalsozialismus nach Großbritannien fliehen musste.
Einzig Konzepttanz, der sich häufig mit philosophischen Tanzstücken ohne Tanz polarisiert, ist kaum in Klagenfurt zu sehen. Eine Ausnahme ist das Stück „Telborg“ von Mateja Bučar, das wie schon erwähnt für lange Zeit einzige Gastspiel aus Slowenien im Jahr 1999. Bučar bezieht sich darin auf die Poststrukturalisten Gilles Deleuze und Felix Guattari, welche die Wirklichkeit als geschichtet betrachten und den Menschen als fragmentiertes Wesen.
Das positive Ergebnis dieser Recherche bestätigt die These, die Franz Anton Cramer, Matjaž Farič und ich beim Tanzkongress in Hannover 2016 im Workshop „Dance und Performance in Duckburg: Wir sind der Schnabel der Welt“ aufstellten. Dort behaupteten wir, dass sich das Zeitgenössische in ländlichen Gebieten nicht so sehr zeitverzögert durchsetzt als schlichtweg anders.
This is the end
Die Last, als einzige Black-Box-Bühne in der Landeshauptstadt Klagenfurt Tanz angemessen zeigen zu können, schultert das ke meisterlich. Und dies, obwohl sich die theaterHALLE11 nicht optimal für Tanz eignet. Die Bühne ist mit 9 mal 12 Metern für vielköpfige Ensemblestücke zu klein. Die Raumhöhe ist für die Tanz-Hängung der Scheinwerfer zu niedrig. Die technische Ausstattung ist komplexen Anforderungen kaum gewachsen und gehört zeitnah upgedatet. Der Kauf eines Tanzbodens ist dringend nötig. Hier ist die Politik gefordert, vor Ort (und zusätzlich andernorts) angemessene räumliche Strukturen zu schaffen.
Das Auf und Ab von Tanz im ke ist eng mit kulturpolitischen Maßnahmen verknüpft. Budgeterhöhungen vermehren das Angebot. Budgetkürzungen oder der Verlust einer festen Spielstätte vermindern es. Auch nach 40 Jahren ist man von einer nachhaltigen kulturpolitischen Absicherung des ke und der Sparten Tanz und Performance weit entfernt.
Dieser unbefriedigende Status quo soll die Feierlaune nicht verderben: Happy Birthday! Ein Hoch auf das klagenfurter ensemble. Möge es noch viele Jahre Tanz und Performance präsentieren.
Der Artikel ist ein Originalbeitrag in Lehner, Gerhard (Hrsg.): 40 Jahre klagenfurter ensemble. Klagenfurt 2019