Weltweit gibt es sie schon länger. In Graz – und damit gleichzeitig einzigartig in Österreich – nun immerhin seit 2016: Screen Dance Festivals. Bis zur diesjährigen Ausgabe wurden hier bereits mehr als 280 Tanzfilme vorgeführt. Für die 8.Edition gab es rund 380 internationale Einreichungen. 56 Filme aus 23 Nationen waren schließlich heuer im Laufe der drei Festivaltage zu sehen, ausgewählt von Valentina Moar, der Initiatorin und künstlerischen Leiterin dieses Festivals.
Und sie öffnet mit der formalen und inhaltlichen Bandreite der gezeigten Tanzfilme tatsächlich, wie sie sagt, „ein kleines Fenster in die Welt“. Das Festival bietet also nicht nur einen Einblick in das, was diese spartenübergreifende Kunstform durch ihr gleichberechtigtes Zusammenspiel von Filmkunst und Tanz derart dem Betrachter als Mehrwert zu bieten hat; es veranschaulicht auch beispielhaft die bunte Vielfalt dessen, was Kulturen weltweit ausmacht und unterscheidet.
Sicherlich ist, wie immer wieder zitiert, der Tanz in seiner künstlerischen wie auch in seiner individuellen Umsetzung im Alltag eine Ausdrucksform, die jeden erreicht, anspricht oder ansprechen kann – ohne theoretische Kenntnis dieser Körpersprache und ihren Hintergründen. Die Rezeption und die damit verbundene Interpretation des Dargestellten wird aber immer eine kulturimmanente sein; im Idealfall das Erkennen oder gar Verstehen des Anderen im Gezeigten.
Student Film Competition
Die Möglichkeit zu derartigen Erfahrungen war in einer nahezu überwältigenden Zahl geboten. Wohldurchdacht und hilfreich dabei die Strukturierung des Programms in Form von inhaltlichen Blöcken. „Student Film Competition“ war einer davon. Symptomatisch für den (guten und wichtigen) Überschwang von ‚Newcomer‘ steht der Film „You Left me Alone“ (USA), in dem die überbordende Gefühlswelt zweier junger Frauen zwar sichtbar, in diesem großen Wirrwarr aber nicht greifbar wird. Im klar aufgebauten, aber deswegen nicht weniger emotionalen „The Language You Show Me“ (D) ist hingegen die tiefe Verbundenheit von Tänzern mit ihrer Kunst – auch dank eingespielter Texte - gut nachvollziehbar (aufnahmetechnisch manchmal noch ein wenig holprig). Mit unerbittlicher wie auch feinnerviger Konsequenz wird in „Pendulum“ (Belgien) unter der Leitung von Anna Boekelder (Choreografin, Verfasserin) mittels immer und immer wieder sich wiederholenden „einfachen“ Fall und Auffangbewegungen weitgehend illusionslos das Ringen um Gemeinsamkeit erfasst. Der an diese Arbeit verliehene „BEST STUDENT FILM AWARD“ hat einen guten Platz gefunden.
New Austrian Creators
nennt sich der Block, der einem der Festivalziele, dem Aufbau und der Förderung einer österreichischen Tanzfilm Community, gewidmet ist: Bewegungs-Ästhetik pur und dramatisch schöne Landschaft in Verbindung zur Idee der vier Elemente ist das was „Shapes of Aether“ ausmacht. „Esoptron“, eine tänzerische Antwort auf Covid, dreht sich bei aller Bildhaftigkeit menschlicher Sehnsüchte nach dem Du in einem zu engen formal-visuellen Kreis. Schnitttechnik und Filmperspektive sowie Licht und Farbe sind durchaus einprägsam in „The Occurence of Colours by Night“, überdecken allerdings die intendierte Kritik an der Kleidungsindustrie. Editta Brauns „LUVOS migrations“ ist ein sehr eigenständiges, lustvoll explodierendes Formenspiel von und mit Körperteilen in und mit Bewegung in einer endlos scheinenden, packenden Kreativität. Vor allem der 5.Beitrag, „Seekind – to sink in“, zeigt aber auf, dass diese Kunstgattung in Österreich noch im Werden, im Erforschen individuell-markanter Wege ist.
Der durch dieses Festival gegebene künstlerische Austausch sowie das Angebot eines zweitägigen Screendance Workshops mit der vielfach ausgezeichneten Regisseurin und Drehbuchautorin Adi Halfin (ISR/D) ist dafür bestens geeignet.
Polish Dance Films – Special Selection
Dass die Tanzfilmszene in Polen der österreichischen einige Schritte voraus ist, beweisen die allesamt herausragenden sieben Projekte im Rahmen des Blocks „Polish Dance Films – Special Selection“, fach- und sachkundig vorgeschlagen von Regina Lissowska. Thematisch wie bewegungs- und filmtechnisch sind sie (bewusst) sehr weit gestreut und „müssten“ zumindest durch eines dieser Filmbeispiel jeden auch noch so unerfahrenen Betrachter zum „Wiederholungstäter“ werden lassen. Fein(st)bewegung im Zwischenmenschlichen von einer selten zu erlebenden geradlinigen Tiefe im knapp vierminütigen „Portraits in Motion“ von Mateusz Czekaj kontrastiert mit der expressiven, realitätsbezogenen Bewegungssprach einer Frau von heute in „120CM of Intimacy“ von Urszula Bernat-Jatocha, oder mit dem in seiner Bild- und Bewegungssprache gleichermaßen ‚einfachen‘ wie treffenden Szenen in „Childhood/Adulthood“ von Jagoda Turlik. Eine extra Erwähnung bedarf noch „Dance Naiv“ von Yarek Baranik: Gefangengenommen von der hochsensiblen Bewegungs- und Darstellungskunst der beiden Künstlerinnen Iwona Olszowska und Natalia Iwaniec kommt der Zuseher bestenfalls in den selbstironischen oder auch humorvollen Zwischenpassagen kurz zum Durchatmen in diesem mitreißenden Charakterbild einer undefinierten Beziehung.
Dance Films From Hong Kong
Die drei im Block „Dance Films From Hong Kong“ präsentierten Tanz-Film-Kunstwerke stellen - jedenfalls für unsere Kultur - in der Tat eine besondere, eine eigene Welt dar. In diese einen Lidschlag lang den Blick werfen zu können, hat eine sehr eigenwillige, geradezu beunruhigende Qualität: Man empfindet sich dieser Tanz- und Filmsprache gegenüber als recht inkompetent beim Rezipieren. Und doch bewahrheitet sich gerade hier die Universalität der Bewegungssprache: Sie dringt, bei allem Un- und Missverständnis, das es geben dürfte. tief ein:durch ihre unvergleichlich meditative, hochkonzentrierte, jegliche Zeitbegrenzung ignorierende Kraft. Die hier zu erlebende Diszipliniertheit im Einklang mit Emotionalität prägt sich anhaltend tief ein, Absurdität wird in gewisser Weise etwas Be-Greifbares.
Dancefilm Poets
Unter der Bezeichnung „Dancefilm Poets“ lief das tägliche Hauptprogramm und damit der Block, dessen Filme an der International Dancefilm Competition teilnahmen.
Die Entscheidung der Jury – Regina LIssowska-Postaremczak, Ute Baumhackl, Dirk Elwert – dokumentiert beispielhaft die Vielfalt der gezeigten Werke:
Eine SPECIAL MENTION erhielt „Urban Genesis“ (Frankreich-Vietnam) von Fu Le: Ein nahezu rasend schneller Bildertanz im Jetzt; einer des Entwurzelt-Seins, des Fremd- ja Ausgeliefert-Seins dem rasenden Fluss der Zeit und damit der steten Veränderung.
Die Auszeichnung BEST CHOREOGRAPHY erhielt „Endurance“ (Niederlande/Israel) von Imre van Opstal. Wiewohl dieser knapp zwölfminütige Tanzfilm Phasen und Beziehungen eines ganzen Lebens umfasst, ist er dank einer abstrakten Bewegungssprache, die oft expressiv, aber auch minimalistisch sich vermittelt, fern jeder inhaltlichen Überfrachtung. In nahezu atemloser Dichte von Wiederholungen und Veränderungen ist das Thema des Durchhaltens, Weitermachens, der Annäherung und Entfernung, der Einzel- und der Gruppenaktion in seinen verzweifelten wie beglückenden Facetten erkennbar, erfühlbar.
BEST FILM: Diese Wahl fiel auf den finnischen Film „In the Same Boat“ von Mervi Junkkonen. In gewisser Weise ein Kammerspiel. Begleitet vom körperlich gerade noch möglichen und gerade deswegen besonders fein-intensiv wirkenden Kreis-Tanz der Arme und Hände eines alten Mannes, wird die wunderbare Freiheit der Gedanken und Erinnerungen mittels Sprache lebendig und mittels Filmtechnik visualisiert. Ein feinsinnig zurückhaltendes, poetisches Zusammenspiel unterschiedlicher Kommunikationsebenen.
Den AUDIENCE AWARD erhielt „Incognitum“ (D) von und mit Sara Angius. Ein durch und durch ungewöhnliches, mehr- und tiefschichtiges Solo. Eine Suche nach dem Ich: tief im eigenen Ich und im Zwiegespräch mit diesem - gestaltet mit einer Puppe. Diese gleichermaßen konkrete wie vieldeutig abstrakte Konfrontation eines Menschen mit seinen beiden, mit seinem inneren und seinem äußeren Wesen gestaltet die geradezu akrobatisch agierende Tänzerin mit selten anzutreffender, interpretationsoffener Fantasie und Intensität. Ein Erlebnis für sich.
DANCE ON SCREEN FILMFESTIVAL: 3.-5.November 2023, Kunsthaus Graz, Space 04