Schade, dass Gioachino Rossinis „Diebische Elster“ so selten gespielt wird. Das kann weder an musikalischen noch dramaturgischen Schwächen liegen, auch wenn manche das so bewerten mögen. Tobias Kratzer inszenierte in naturalistischer Manier samt Vogelperspektive, und Antonino Fogliani leitete das RSO Wien beherzt im Bemühen, der schlechten Akustik der Halle E als Ausweichquartier zu trotzen.
Zumindest die Ouverture erkennen viele, die jene „Opera semiseria“ von 1817 noch nie gesehen haben, ist sie doch ein häufiger musikalischer Topos. Trotz interessanten Plots steht das Werk leider nicht öfters auf den Spielplänen. Erstaunlich eigentlich, da gerade ein Protagonist wie die diebische Elster Leading Teams doch zu spannenden Konzepten animieren müsste.
Musikwissenschaftlich als „genus mixtum“ bezeichnet, integriert dieses Genre des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts komische und ernste Elemente und handelt zumeist im ländlich-ruralen Milieu. Darüber hinaus gab es eher produktionstechnische und theaterrechtliche Regeln, wie den Einsatz bestimmter Sänger*innen-Fächer aus „buffa“ und „seria“, oder die Aufführungstermine betreffend, die sich nach jenen der Opera seria in der Hauptsaison richteten. Musikalisch gesehen dominierten Secco-Rezitative. Rossini selbst nannte sein Werk „Melodramma“ und entsprach damit durchaus der herrschenden Vorliebe.
Die tragische Komponente kommt hier dem Hausmädchen Ninetta zu. Im Zuge gesetzlicher Wirrnisse wird sie wegen eines angeblichen Silber-Diebstahls zum Tode verurteilt. Zum Verhängnis wurde ihr der Verkauf eines ähnlichen Stückes, das ihr der Vater geschenkt hatte, selbst ein Armee-Deserteur und eingedeckt mit eigenen Problemen. Mehr Probleme als Lösungen verursachen dann noch Giannetto, Sohn des Hauses und verliebt in Ninetta, sowie der lüsterne Podestá, der ihr Hilfe gegen Erotik anbietet, was sie natürlich ablehnt. Nur Ninettas Freund Pippo hält ungebrochen zu ihr.
Rainer Sellmaier gestaltete eine naturalistische Bühnenszene in Form eines Bauernhofes auf zwei Spieletagen, gute Stube und Scheune inklusive. Ein wenig mehr Theatralität hätte man sich von den (ebenfalls von ihm entworfenen) Kostümen gewünscht. Kratzers guter Personenführung ist es zu danken, dass das Libretto-bedingte langatmige Spiel kurzweilig geriet. Gelegentlich vermisste man zwar mehr Witz im Sinn der Commedia-Figuren. So geriet etwa Pippo, eine klassische Zanni-Figur, zu veristisch-ernsthaft in seiner Darstellung (Diana Haller).
Doch war es eine kluge Wahl Kratzers, einfach an der Story zu bleiben und die realistische Ebene durch den Einsatz eines Videos (Manuel Braun, Jonas Dahl) zu brechen. So konnten die Zuschauenden mittels Drohnenfluges die Perspektive der Elster einnehmen, wodurch die metaphorische Ebene rund um die diebische Elster, die allem Glitzernden nachjagt, etabliert wurde. Gesanglich beeindruckten Maxim Mironov mit klangschönem Belcanto-Tenor, Nahuel Di Pierro mit beweglichem Bass, Diana Haller mit elegantem Mezzo sowie Nino Machaidze mit dunklem Sopran, unterstützt vom verlässlichen Arnold Schoenberg Chor. Das RSO Wien unter der Leitung von Antonio Fogliani bot Tempo und Klangstärke. Eindrücklich agierte auch Robert Lillinger am in die Szene integrierten Hammerklavier.
Rossinis in nur zwei Monaten geschaffene Komposition ist erstaunlich dicht gearbeitet und greift auch auf kein vorhandenes Material zurück. Auch hat er hier bereits Konventionen der Gattungshierarchien überwunden und etwa kein übliches buffo-Idiom für die Zanni-Figuren komponiert, sondern insgesamt neue Formen angewandt. Seine Gestaltung des Isacco zum Beispiel gilt musikhistoriographisch als unmittelbares Vorbild für Verdis Trabuccho in „La forza del destino“.
Am Ende dann das fast irreale lieto fine, als die Elster überführt und beinahe erschossen wird. Sie entkommt jedoch und wir sehen sie wieder aus ihrer Perspektive per Video, wenn sie sich auf die Jagd nach dem ultimativ glitzernden Ding macht – und bei Cellinis Saliera im Kunsthistorischen Museum Wien landet.
Theater an der Wien: "La Gazza ladra", Premiere 16. November 2022 im Museumsquartier, Halle E