Kunst ist (immer auch) eine Perspektiven-Öffnung. Dass dies für Akteurinnen wie für Rezipientinnen gilt, wo auch immer der jeweilige individuelle Standpunkt sein mag - dies führte das „Inklusive Tanz-, Kultur- und Theaterfestival InTakt auch heuer wieder vor: zum siebenten Mal in Folge, anhand von drei Abend-Veranstaltungen, einem Musik-Theater-Stück für Kinder sowie Ausstellungen und Workshops.
Ein Höhepunkt war bereits die Eröffnung unter dem Titel „Ich, selbstbestimmt“, bei der Texte steirischer Autorinnen mit Lernschwächen – die Anja M. Wohlfahrt mit sehr persönlichen, individuell charakterisierenden Worten charmant-locker vorstellte - zu hören waren. Zum Teil von diesen selbst gelesen oder aber von Ninja Reichert (dankenswerterweise kurzfristig für August Schmölzer eingesprungen), die in der ihr eigenen, hochprofessionell-einfühlsamen Vortragsweise die einzelnen Wortkunstwerke ganz besonders intensiv erleben ließ. Diese so unterschiedlichen, zwischen unvoreingenommener Lebensfreude: „Mein Leben hat Flügel“, „Es gibt keine kleineLiebe“, Nachdenklichkeit: „…die Zeit, die uns noch bleibt, …mit wem wir sie teilen, bleibt uns überlassen…“ und Poetischem: „Wenn wir wie Wolken denken könnten…“ changierenden Texte; solche, die nicht zuletzt auch aufrütteln (sollen): „Den Standpunkt des anderen zu akzeptieren…immer das Wichtigste“.
Die am zweiten Abend in künstlerisch durchwirkter und arrangierter Aufbereitung zu erlebenden Dokumentarfilme „it works“ und „IT WORKS II“ von Fridolin Schönwiese geben in gleichermaßen emotionaler wie informativer Weise tiefe Einblicke in das Leben dreier Menschen mit verschiedenen Behinderungen: In ihre Lebensentwicklungen, die geprägt sind von Zeitbegriffen, die Menschen, die in einer grundsätzlich uneingeschränkten Lebensform existieren, und (vor allem auch) heutigen Lebenserwartungen nacheifern, unbekannt sind. Zusätzlich dringt anhand dieser Szenen und Bilder das Begreifen von Unterschiedlichkeit und Stimmigkeit wesentlicher Werte tief unter die Haut.
Die Freie Bühne München, 2014 als inklusives Theater für alle gegründet, bietet mit seinem Ausbildungszweig für junge Schauspielerinnen mit Behinderung etwas für Deutschland immer noch Einzigartiges. In Graz zeigte sie nun ihr neueste Theaterproduktion,“ Romeo + Julia“ nach Shakespeare. Eine sehr dynamisch junge, trashige, eigenwillig heutige Version, die bei aller zeitimmanent-amüsanter Inszenierung (Ulf Goerke) sowie mutig durchdachter und zurückhaltend eingesetzter, symbolischer Ausstattung (Marie Jaksch), doch auf der immerwährend aktuellen Grundthematik von Liebe und Machtkampf basiert; wobei einerseits die Familien-Fehde auf Krieg ganz allgemein ausgeweitet, und die komplexe Thematik von uneinschränkbarer Liebe klugerweise von drei Romeo-Julia Paaren dargestellt wird; um derart angedeuteten Perspektiven und notwendigen Assoziationen einen weit offenen, denkanstößigen Raum zu geben oder zumindest einmal anzubieten.
InTakt, 10.bis 13. November 2022; Graz Museum und Schauspielhaus Graz, Haus 2.