"Dance on Screen" ist ein Festival, das es für diese Kunstsparte in Österreich bislang nur in Graz gibt: Gegründet vor sieben Jahren von der Tänzerin und Choreografin Valentina Moar, die es seither mit immer größerem, über die Landesgrenzen hinausreichenden Erfolg - u.a. in Form von Gastspiel-Filmvorführungen und internationalen Kooperationen - kuratiert.
Wenn sich die Ausdruckskraft von Tanz, von künstlerisch intendierter Tanzsprache mit ebensolcher von kreativer Filmtechnik verbindet, dann ergibt dies das, was Moar nach Sichtung von mehr als 440 Einreichungen aus der ganzen Welt in ihrer Filmauswahl als herausragende Kunst des Tanzfilms, als Tanzfilmkunst dem Publikum bot: 59 Filme waren es, die nicht nur in ihrer Vorführdauer, die zwischen 3 und 24 Minuten liegt, sondern vor allem in ihrer eklatanten Unterschiedlichkeit uneingeschränktes Interesse wecken. Betrifft diese Bandbreite doch sowohl die behandelte Thematik, den performativen Stil ganz allgemein und den des Tanzes im Besonderen, wie den Einsatz von Mitteln der Akustik und des Lichts sowie der der breitgefächerten Möglichkeiten filmischer Techniken. (Mehr als 3000 Künstlerinnen sind es, die hinter den in diesem Jahr gezeigten Filmen stehen).
Nicht nur die Intention, diese relativ neue Kunstsparte mittels angebotener und damit für viele anregende Vielfalt einem breiteren Publikum näherzubringen, scheint Moar zu gelingen; dieses Festival fördert gleichzeitig auch die Vernetzung Kunst-Interessierter und damit ihre intensivere Auseinandersetzung mit dem Medium sowie insbesondere auch die Vernetzung und den Austausch nationaler und internationaler Künstlerinnen aus diesem Bereich (nicht nur Gäste aus Europa, sondern auch von Übersee waren gekommen). Nicht zuletzt unterstützt diesen kommunikativen Mehrwert ein in diesem Jahr erstmals angebotener Workshop, den die im weltweit einzigen Master of Arts Programm für Screendance an der London Contemporary Dance School unterrichtende Gitta Wigro leitete; sehr zur Begeisterung der 17 Teilnehmerinnen.
Wie schon seit Jahren ermitteln die Zuseher einen Publikumspreis sowie eine internationale Jury den „Best Film“ Award sowie den für „Beste Choreografie für Film“. Ersteren erhielt der Film „WHY I DANCE“ des Norwegers Andreas Strand Renberg. Auch wenn der Film sich als „Dance documentary“ definiert und damit strenggenommen nicht in den Bereich von „Screendance“ fällt, ist nicht nur die Bewertung, sondern vor allem auch seine Präsentation in diesem Rahmen sehr nachvollziehbar, ja überaus berechtigt: Choreograph Louis Clément da Costa arbeitete in diesem fast 25minütigen Film mit jungen Tänzern aus Ruanda zum und über das Thema „Freiheit“. Das Ergebnis ist ein Augen öffnendes Werk zu Problemen junger Menschen in diesem Land: Sie schildern mit ihren Worten wo sie ihr Menschenrecht, das der Freiheit, vor allem oder auch ausschließlich erfahren: im Tanzen! Und dieses - filmisch feinfühlig wie kulturell atmosphärisch instruktiv auf der Leinwand festgehalten - erleben zu können, bewirkt ein außergewöhnliches Begreifen eben dieses Menschenrechts sowie ein geradezu sinnliches Erfassen der Kraft tiefer, individuell-kreativer Tanz-Bewegung.
Das von der Jury (Damián Muños, Gitta Wigro, Marinella Guatterini) ) als bester Film nominierte Werk „ IN VELVET“ von Jessica Kennedy und Megan Kennedy (Irland) ist ein weiteres Indiz für die Kraft von Tanz und Bewegung im weiteren Sinne, nämlich in dem des Miteinander-Unterwegs-Seins. Ein indirekteres Indiz dieser Kraft ist es hier, von leiserer, aber nicht minder tiefer Emotionalität und von der Möglichkeit des Verbindenden: Der Film erzählt in wunderbar feinfühligen, ausdrucksstark zurückhaltenden Bildern vom bewegten, miteinander verbrachten Tagesablauf eines Mannes und eines Kindes. Das (bedrückend) Trennende zwischen ihnen verkleinert sich immer wieder ein wenig während ihres Tuns; am meisten, als sie beide, wenn auch jeder für sich, tanzen. Kaum ein anderes Medium könnte dieses Fehlen, Werden und Stocken unausgesprochener Sehnsucht nach Beziehung besser veranschaulichen als in diesem Zusammenspiel von Film und Tanz-Bewegung.
Auch der Preis für die beste Choreografie für Film, der dem Schweden Emil Dam Seidel für „SHE“ zuerkannt wurde, reiht sich in dieses, in ein Triumvirat, das mögliche Wirkungskraft von Tanz beispielhaft veranschaulicht: beginnt der Tanz hier doch überall dort, wo die Worte fehlen: dort, wo sie der Protagonistin Dorotea Saykaly fehlen, die bereits mit ihrer Mimik Bände spricht und in ihrem dialogischen Selbstgespräch mit einem fiktiven Gegenüber auch nicht gerade Mangel an verbaler Ausdrucksstärke zeigt. Allein, auch sie stößt an die Grenzen des verbal Sagbaren – und beginnt dann feinnervig zu tanzen. Dieses Kammerspiel ist in der Tat ein Kleinod der homogenen Zusammenarbeit von Künsten.
Und Vergleichbares kann auch von der künstlerisch kreativen Versuchen der Aufarbeitung derzeitig weltweiter Verunsicherungen und Bedrohungen geschrieben werden, wie sie etwa im sehr experimentellen, in gewisser Weise grafisch fundierten spanischen Film „ABBIOSIS“ von Lucia Garcia vorliegt. Oder aber im experimentellen, farbprächtig aufwändigen Studenten-Projekt aus der Republik Korea „KCCURENCE“ von Jeon Sehoon, das in seiner fremdartig faszinierenden Bildsprache wohl nicht immer adäquat für unseren Kulturkreis entschlüsselbar ist, aber deswegen nicht weniger aufwühlt. Der holländische Film „FIST“ von Thomas Bost ist in seiner sozialen Thematik hingegen in seiner klaren Interpretierbarkeit sehr zugänglich, aber gerade auch deswegen berührend. Und er schließt einen Kreis zu den Werken, die von der ‚konkreten‘ Kraft des Tanzes – hier mittels versuchter Therapie - zu berichten trachten. Thematisch gipfelnd in Formen der Aggression oder jedenfalls des Widerstandes, wie er in „GHOSTLY LABOR“ von Jota Leaños und Vanessa Sanchez (USA) als „A DANCE FILM“ an der Grenze zu Dokumentarischem, aber doch mit Kreativität verortet und kameratechnisch festgehalten präsentiert wird.
Das, was an unterschiedlichster Kameraführung und -Perspektive zu sehen war, ist nur ein Aspekt neben zahlreichen anderen, die kraftvoll nachwirken und auf das im hilfreich informativem Booklet hoffen lassen, was dieses abschließend anführt: „Tob be continued…“
DANCE ON SCREEN, Filmfestival; 4 bis 6. November 2022, Space 04, Kunsthaus Graz