Der Tod ist wie das Sterben ein widerspenstiges Thema; so unterschiedlich der Umgang damit in Kulturen und Zeiten auch sein mag. Gegebenheiten und Möglichkeiten im Heute bieten sich nahezu an, räumliche und zeitliche Grenzen aufzulösen, ein imaginäres Zusammentreffen von vielem und vielen durchzuspielen – so, wie wir es nahezu selbstverständlich in der Realität unseres digital (immer mehr) dominierten Lebens erfahren.
Jo Strømgren, weltweit erfolgreich agierender Regisseur, Choreograf, Autor und Bühnenbildner aus Trondheim, Norwegen, stellt sich dieser Herausforderung offensichtlich mit großem Vergnügen. Und so zeichnet er in diesem Ballett auch für die Musikauswahl verantwortlich, deren zeitlicher Bogen zwischen Alessandro Scarlatti und J.S. Bach über Franz Schubert Franz Liszt und Richard Wagner sowie Bedrich Smetana gespannt ist. Durch die Breite seiner Kompetenz entstammen die eingesetzten Kunstformen einer, also seiner individuell verbindenden Intention, und ergeben so ein besonders dichtes Ganzes, das deswegen aber freilich nicht einfacher zu deuten oder zu entschlüsseln ist.
Ist sein Thema doch nicht nur die unumstößliche Tatsache des Todes eines jeden Menschen, sondern auch der damit gepflogene Umgang im hier vordringlich bearbeiteten Zeitraum der Romantik sowie das erleidende Erleben seines Näherkommens. Beispielhaft vorgeführt an den im Zentrum stehenden Schubert, Chopin, Schumann, Smetana und Carl Maria von Weber.
Zusätzlich zum Zusammenführen dieser auf der Bühne Wiederbelebten über alle real gegebenen Grenzen hinweg – in bedingungsloser Zeitgemäßheit also – bedient sich Strømgren auch des aktuell sehr oft beanspruchten und unserem Alltag entsprechenden Mittels der Überlagerung und thematischen Überladung – zumindest einer gewissen Überforderung des Rezipienten. Drehen sich doch die eingespielten, von ihm selbst verfassten und eingesprochenen Texte um zusätzliche Erörterungen: Betreffend den Raum oder aber um Fragen der Kunst, die, wiewohl in einer imaginierten Zukunft, 2048, anders angelegt als in der Romantik, zwar immerwährend Gültiges zu erörtern scheinen, aber nichtsdestotrotz– szenisch-tänzerisch eindrucksstark durchgespielt – in einem Raum des Unbeantwortbaren hilflos stecken bleiben.
Wenig verwunderlich, dass er der Komplexität des Angesprochenen auch formal mit differenzierten Mitteln begegnet: Mit großer Ernsthaftigkeit wie auch mit Humor; performativ umgesetzt in darstellerisch differenzierterem Ausdruck als im Ballett üblicherweise erwartbar ist, in beeindruckend theatralen, geradezu bildnerisch gestalteten Ensembleszenen – Licht: Martin Schwarz, Kostüme: Bregje van Balen, – bei denen er die TänzerInnen des Grazer Balletts zu besonders überzeugender Präsenz zu führen versteht.
Nicht zuletzt sind es zahlreiche Pas de trois und Pas de deux - unter denen der dem klassischen Ballett am nächsten kommende besonders herausragt -, die nicht nur in ihrem wenig alltäglichen Fluss tänzerisch in den Bann ziehen, sondern auch immer wieder das Unbegreifliche des Todes und das in seiner Art absurde Geschehen davor und rundherum im bewegten Miteinander bewegend erfahren lässt.
Ballett der Oper Graz: „Zum Sterben zu schön,“ Ballett von Jo Strømgren, Studiobühne der Oper Graz, Uraufführung 13.Oktober 2022. Weitere Vorstellungen am 18., 20., 28. Oktober; 3., 5., 17., 19. November